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  • Schulplatzmangel für Geflüchtete

1500 junge Geflüchtete in Berlin warten auf einen Schulplatz

Rund 1500 geflüchtete Kinder und Jugendliche können nicht zur Schule gehen - es mangelt an Räumen und Lehrkräften für Willkommensklassen

  • Marina Mai
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Berliner Flüchtlingsrat und weitere Organisationen haben am Montag vor der Senatsverwaltung für Bildung protestiert und Schulplätze für geflüchtete Kinder gefordert. An einer Wäscheleine vor dem Verwaltungsgebäude haben sie symbolisch 150 Zuckertüten aufgehängt. Jede Tüte stehe für zehn Kinder, denen in Berlin das Recht auf Bildung verwehrt wird, sagt Walid Chahrour, der Sprecher der Initiative.

Laut einer Statistik von Dezember warten in Berlin 1300 geflüchtete Kinder auf einen Schulplatz. Sie können nicht zur Schule gehen, weil Lehrer und Schulräume fehlen, räumte die Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie in einer Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Grünen ein. Der Flüchtlingsrat geht aber davon aus, dass zu den 1300 wartenden Kindern und Jugendlichen rund 200 weitere hinzukommen, die noch nicht einmal für einen Schulplatz angemeldet wurden. Im Ukraine-Ankunftszentrum Tegel werden etwa keine Schulanmeldungen vorgenommen. Schwierigkeiten gibt es laut Flüchtlingsrat auch im Hangar Tempelhof sowie im Ankunftszentrum in Reinickendorf.

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Sabine Speiser vom Arbeitskreis Junge Flüchtlinge des Flüchtlingsrates beschreibt ein »Level an Frustration und Antriebsschwäche« unter jugendlichen Geflüchteten, das die Lage von 2015/16 übersteige, als ebenfalls Schulplätze fehlten. Das liege daran, dass die Jugendlichen heute noch weniger eine Perspektive sehen. Ein Lehrer einer Willkommensklasse, der in der roten Weste der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft zu der Kundgebung gekommen ist, spricht davon, dass den Kindern und Jugendlichen Stabilität fehle, »wenn sie den ganzen Tag in prekären Unterkünften zum Warten verdammt sind«.

Er weist auf ein weiteres Problem hin: Wenn die Schüler einen Platz in der Willkommensklasse bekommen haben, müssten sie dort viel zu lange warten, bis sie in eine Regelklasse wechseln können. Denn auch dort mangele es an freien Schulplätzen. »Ich kenne Schüler aus afghanischen Bildungshaushalten, die eine hervorragende Schulbildung mitbrachten, die aber eineinhalb Jahre in der Willkommensklasse auf einen freien Platz in einer normalen Klasse warten mussten.« Das sei, so der Lehrer, als würde man Abiturienten zwingen, ihr Abiturjahr zu wiederholen, weil an der Uni kein Platz für sie frei sei.

Ein besonderes Problem besteht zudem für unbegleitete minderjährige Geflüchtete, also für Jugendliche, die ohne ihre Eltern nach Deutschland kommen: Sie warten sechs bis acht Wochen in pädagogisch nicht oder unzureichend betreuten Heimen auf ein Clearinggespräch, um ihr Alter feststellen zu lassen. Erst danach erfolge die Anmeldung zur Schule. Laut Nora Brezger vom Flüchtlingsrat betrifft diese Wartezeit selbst Ukrainer, die mit Geburtsurkunde und Ausweis ihr Alter nachweisen könnten. »Wir vermissen von der Senatsverwaltung ein Konzept, wie sie Lehrkräfte anwerben und die Raumsuche gestalten will«, sagt Brezger. Für sie sei es vorstellbar, vorhandene Schulräume auch nachmittags zu nutzen oder Lehrer zu werben, die das Rentenalter erreicht haben.

Die Bildungsverwaltung schickte keinen Vertreter zu der Kundgebung. Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) war in ihrer Funktion als Präsidentin der Kultusministerkonferenz auf einem Außentermin, auch ihre beiden Staatssekretäre waren dienstlich verhindert. Walid Chahrour meint dazu lediglich: »Wir haben jedem eine Zuckertüte dagelassen, damit sie mal an ihre Hausaufgaben erinnert werden.«

Das Recht auf Bildung ist im Grundgesetz sowie in der UN-Kinderrechtskonvention verankert. In Berlin besteht das Recht auf einen Schulbesuch laut Gesetz vom ersten Tag des Aufenthaltes an.

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