Hessen: Versammlungsfreiheit gefährdet

Massive Kritik an schwarz-grünem Entwurf für ein hessisches Versammlungsgesetz

Die Echse macht sich in Zukunft wahrscheinlich wegen Vermummung strafbar.
Die Echse macht sich in Zukunft wahrscheinlich wegen Vermummung strafbar.

Seit 16 Jahren können sich die deutschen Bundesländer eigene Versammlungsgesetze geben. Im Zuge einer Föderalismusreform ging die Gesetzgebungskompetenz damals vom Bund auf die Länder über. Von dieser Möglichkeit haben in den vergangenen Jahren zahlreiche Bundesländer Gebrauch gemacht. Herausgekommen sind dabei höchst unterschiedliche Gesetze. Manche, wie etwa das in Berlin, haben die Versammlungsfreiheit gestärkt. Andere Gesetze, zum Beispiel das 2021 in Nordrhein-Westfalen beschlossene, haben einen repressiven Charakter und weiten vor allem polizeiliche Eingriffsbefugnisse aus.

Hessen reiht sich unter jene Bundesländer ein, für die Letzteres gilt. Michèle Winkler vom Komitee für Grundrechte und Demokratie schreibt in einer Stellungnahme für eine Expertenanhörung, die am Montag im Wiesbadener Landtag stattgefunden hat, der hessische Gesetzentwurf bediene sich bei zahlreichen anderen Versammlungsgesetzen. Etwa denen aus Bayern, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Dabei sei »ein Flickenteppich aus den eher repressiveren Regelungen diverser Gesetze« entstanden. Beispiele dafür gibt es im Gesetzentwurf einige.

In Hessen soll es ein »Militanz- und Einschüchterungsverbot« geben. In der Begründung heißt es, dass sich »regelmäßig militante Autonome zu Blöcken zusammenschließen«. Dieses Verhalten erzeuge bei Außenstehenden »den Eindruck von Gewalt- und Kampfbereitschaft«. Ein solches Verhalten soll sanktioniert werden. Michèle Winkler kritisiert, dass die Frage, was unter das Verbot falle, von »subjektiven Wertungen« abhänge und dies Rechtsunsicherheit schaffe. Auch greife es in die Gestaltungsfreiheit von Veranstalter*innen ein. Ein farblich einheitliches Auftreten sei zum Beispiel ein Mittel, um einen gemeinsamen Standpunkt zum Ausdruck zu bringen.

Ein anderer Kritikpunkt von Winkler ist die geplante Regelung zu Bild- und Videoaufnahmen. Zur Grundlage für diese werden »tatsächliche Anhaltspunkte« gemacht, »die Annahmen rechtfertigen, dass von der Person eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung ausgeht«. In der Gesetzesbegründung heißt es, die polizeiliche Expertise über »abstrakte Gefahrensituationen« reiche aus, um Bild- und Videoaufzeichnungen anzufertigen. Für Winkler vom Grundrechtekomitee ist das ein in »Schriftform gegossener Freifahrtschein zur Videobeobachtung«. Mit polizeilicher Erfahrung lasse sich »alles rechtfertigen«. Die Regelung in dieser Form hält sie für »völlig inakzeptabel«.

Auch andere Expert*innen übten in der Anhörung am Montag Kritik an dem Gesetzentwurf. Der Berliner Jurist Clemens Arzt etwa bemängelte die Möglichkeit der Polizei, Identitäten von einzelnen Versammlungsteilnehmer*innen festzustellen. Dies führe zu einer »erheblichen« Abschreckungswirkung. Die grundsätzliche Möglichkeit, dass sich Polizist*innen in Versammlungen aufhalten, hält Arzt für falsch. Ein »anlassloses polizeiliches Zutrittsrecht« sei abzulehnen. Polizei dürfe sich nur in Versammlungen aufhalten, wenn von diesen »unmittelbar bevorstehende erhebliche Gefahren« ausgingen. Allgemein konstatiert Arzt, dass im Gesetzentwurf mehrfach versammlungs- und polizeirechtliche Befugnisse vermischt würden.

Ein vernichtendes Fazit der Expertenanhörung zieht Ulrich Wilken, rechtspolitischer Sprecher der Linksfraktion im hessischen Landtag. Der Gesetzentwurf schütze die Versammlungsfreiheit nicht, sondern gefährde sie. Den Behörden würde ein »so umfangreiches repressives Rüstzeug an die Hand gegeben wie in keinem anderen Bundesland«.

Statt die Anmeldung, Durchführung und Teilnahme an Versammlungen zu erleichtern, würden neue Hürden geschaffen. Den Begriff »Versammlungsfreiheitsgesetz« hält Wilken für unangebracht, »besser würde Gefahrenabwehrgesetz passen«. Für den Fall, dass die schwarz-grüne Regierungsmehrheit den Gesetzentwurf verabschiedet, prognostiziert der rechtspolitische Sprecher der Linken einen »schwarzen Tag für die Demokratie«.

Freilich gibt es auch entgegengesetzte Stellungnahmen. Etwa von der Gewerkschaft der Polizei (GdP). Diese freut sich über die neuen Eingriffsmöglichkeiten. Im Fazit der Stellungnahme der GdP heißt es, der Gesetzentwurf sei ein »rundum gelungenes Werk«, dies müsse man »unumwunden konstatieren«. Man dürfe jetzt darauf hoffen, dass der Landtag das Gesetzeswerk »alsbald beschließt« und dass es zeitnah in Kraft trete.

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