IG Metall Baden-Württemberg warnt vor Jobabbau bei Zulieferern

Mit der »Esslinger Erklärung« fordert die IG Metall von den Auto-Zuliefererbetrieben ein Bekenntnis zum Standort Baden-Württemberg

  • Simon Poelchau
  • Lesedauer: 4 Min.

Baden-Württemberg ist Autoland. Laut Landesregierung erwirtschaften die mehr als 250 Betriebe im Ländle jährlich einen Umsatz von 90 Milliarden Euro. Rund 235 000 gut bezahlte Jobs hängen an der Branche. Doch die Industriegewerkschaft (IG) Metall befürchtet, dass dies nicht so bleibt. »Das Jahr 2023 wird entscheidend! Wir müssen jetzt die Weichen stellen, damit Baden-Württemberg auch in Zukunft noch Autoland ist«, heißt es in der »Esslinger Erklärung«, einem Positionspapier zur Lage in der Automobil-Zuliefererindustrie, das der IG-Metall-Bezirk Baden-Württemberg am Montag veröffentlichte. 

Denn die Energiewende und die damit verbundene Transformation vom Verbrenner- hin zum Elektromotor führen zu einem Umbruch in der Automobilbranche. Auch anderswo in der Industrie spürt man den ökologischen Umbruch. Weil dies auch die Arbeitswelt in Bewegung bringt, lobbyiert die IG Metall schon seit geraumer Zeit für Arbeitsplatzsicherung und einen sozial-ökologischen Wandel in ihrem Sinne. So mobilisierte sie Ende Oktober 2021 bundesweit über 50 000 ihrer Mitglieder zu Kundgebungen und Demonstrationen unter dem Motto »Fairwandel«, um während der damaligen Koalitionsverhandlungen Druck auf SPD, Grüne und FDP zu machen.

»Wir sehen vielfach die Entwicklung, dass die Transformation entweder gar nicht oder im Ausland passiert und neue Produkte sowie ganze Entwicklungsbereiche dort angesiedelt werden und die deutschen Standorte auszulaufen drohen. Diese Signale aus den Betrieben geben uns Anlass zur Sorge, deswegen müssen wir jetzt aktiv werden«, sagte Roman Zitzelsberger, IG-Metall-Bezirksleiter, am Montag im Rahmen einer Konferenz zur Lage der Automobil-Zuliefererindustrie mit 250 Betriebsräten und Gästen. An vielen Stellen laufe es noch gut, »aber das Ende dieser Situation ist mit dem Verbrenner-Aus absehbar«, warnte Zitzelsberger.

Dabei sind Zitzelsberger und Baden-Württemberg in der Bedeutung für die IG Metall nicht zu unterschätzen. Zuletzt handelte der Gewerkschafter in seinem Bezirk im vergangenen Herbst mit den Arbeitgebern den Pilot-Tarifvertrag für die Beschäftigten in der Metall- und Elektrobranche aus, der von den anderen Tarifbezirken übernommen wurde. Auch ist es ein offenes Geheimnis, dass Zitzelsberger im Herbst gerne IG-Metall-Chef Jörg Hofmann beerben würde. Da viele in der Gewerkschaft jedoch der Meinung sind, dass die Zeit reif für eine Frau an der Spitze sei, und auch Hofmanns Vize Christiane Benner Ambitionen hat, ist derzeit eine künftige Doppelspitze mit ihr und Zitzelsberger im Gespräch. 

Laut einer Umfrage der IG Metall unter 115 Betriebsratsvorsitzenden in der baden-württembergischen Zuliefererindustrie schätzen drei Viertel der Befragten die aktuelle wirtschaftliche Situation für dieses Jahr noch als stabil ein. Rund die Hälfte gab allerdings an, dass Investitionen und Gewinne deutlich zurückgehen würden, da die Abhängigkeit vom Verbrenner nach wie vor groß sei. So hängen laut der Umfrage zwei Drittel der Betriebe vom traditionellen Verbrennermotor ab. Viele der befragten Betriebsräte gehen von einem erheblichen Rückgang der Beschäftigung bis Ende des Jahrzehnts aus. Auch meldet die Mehrheit der Befragten zurück, dass es konkrete Absichten gibt, die Produktion ins Ausland zu verlagern, bei der Forschung und Entwicklung sind es sogar 75 Prozent.

»Anstatt den Wandel gemeinsam zu gestalten, flüchten immer mehr Unternehmen aus ihrer Verantwortung und verlagern Produktion und Entwicklung ins Ausland«, warnt die IG Metall deshalb in der »Esslinger Erklärung«. Zentral für das Gelingen der Transformation sei jedoch, »dass dort, wo heute die Industrie und Wirtschaft blüht, keine industriellen Wüsten entstehen«, fordert die Gewerkschaft von den Zulieferunternehmen »ein klares Bekenntnis zum Standort Baden-Württemberg«. 

Von der Politik indes wird eine »kluge Industriepolitik« gefordert. »Sie muss den Rahmen schaffen, wenn wir ein starkes Industrieland bleiben wollen. Dazu muss massiv in die Zukunft, auch die der Beschäftigten, investiert werden«, so die IG Metall. Die jetzigen Instrumente reichten bei Weitem nicht aus. »Wir fordern starke Förder- sowie Investitionsprogramme vor Ort.«

Derzeit sind die Zulieferer-Betriebsräte unzufrieden mit der Politik. So schätzen nur 13 Prozent die gegenwärtigen Rahmenbedingungen für eine positive Entwicklung der Automobilzulieferer in Baden-Württemberg als förderlich ein, 60 Prozent als nicht förderlich. Um die Transformation erfolgreich gestalten zu können, ist ihnen zufolge die Mitbestimmung im Betrieb von großer Bedeutung. Doch auch daran hapert es häufig. Fast die Hälfte der Befragten gab an, dass der Betriebsrat bei strategischen Entscheidungen nicht frühzeitig eingebunden ist.

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