Automatisierte Auswertung von Big Data gestoppt

Verfassungsgericht fordert strenge Vorgaben für den Einsatz von intelligenter Software in der Polizeiarbeit

  • Julien Schat
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Bundesverfassungsgericht hat am Donnerstag Teile des hessischen und des hamburgischen Polizeigesetzes für verfassungswidrig erklärt. Die Regelungen erlaubten der Polizei die automatisierte Auswertung personenbezogener Daten zur Vorbeugung schwerer Straftaten. Dieses Data Mining, so urteilen die Richter*innen des Bundesverfassungsgerichts, erfordert jedoch höhere Eingriffsschwellen als bislang vorgeschrieben. Sie begründen ihre Entscheidung mit dem im Grundgesetz verankerten allgemeinen Persönlichkeitsrecht in Verbindung mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung.

Die hessische Polizei verwendet seit 2017 die Software »Hessendata« des US-Anbieters Palantir. Sie ermöglicht es, die Daten zahlreicher polizeilicher Datenbanken und weiterer Quellen wie Soziale Medien, Mobilfunkanbieter oder Meldebehörden zu verknüpfen, um Beziehungen, Muster und andere Auffälligkeiten zu erkennen. Jährlich macht die Polizei tausendfach von dem Analysewerkzeug Gebrauch.

Aufseiten der Klägerparteien gibt es Erleichterung. Die Bürgerrechtsorganisation Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hatte mit weiteren Organisationen 2019 und 2020 die Verfassungsbeschwerden eingereicht. Bijan Moini, Leiter des Legal Teams der GFF, betont die große Bedeutung des Urteils. Das Bundesverfassungsgericht habe strenge Vorgaben für den Einsatz von intelligenter Software in der Polizeiarbeit formuliert. »Das war wichtig, weil die Automatisierung von Polizeiarbeit gerade erst begonnen hat.«

Laut der Urteilsbegründung griffen die Regelungen, insoweit personenbezogene Daten zusammengeführt und zur Generierung neuen Wissens verwendet würden, in die informationelle Selbstbestimmung ein. Ein solcher Eingriff müsse aber verhältnismäßig bleiben. Dabei bewertete das Gericht die potenzielle Eingriffsintensität als sehr hoch. Denn die Regelungen erlaubten es der Polizei »mit einem Klick umfassende Profile von Personen, Gruppen und Milieus zu erstellen und auch zahlreiche unbeteiligte Personen weiteren polizeilichen Maßnahmen zu unterziehen«, so das Gericht.

Weder seien dabei die Art und die Menge auswertbarer Daten begrenzt noch die genaue Methodik der Auswertung. Insbesondere werde nicht zwischen den Daten von Personen, die einen konkreten Anlass für einen Tatverdacht geben, und denen unbeteiligter Personen unterschieden. Zudem werde ein weites Spektrum an Analysemethoden zugelassen, die von Data-Mining über selbstlernende Systeme Künstlicher Intelligenz bis hin zu maschinellen »Gefährlichkeitsaussagen« über Personen reichen könnten. Das Gericht verwendet dafür den Begriff »Vorhersagende Polizeiarbeit« (»Predictive Policing«).

Angesichts dieser Eingriffsintensität müsse zumindest eine hinreichend konkretisierte Gefahr vorliegen, so die Richter*innen. Insoweit dieser Eingriffsschwelle jedoch weder im Gesetzestext noch in der polizeilichen Praxis in Hessen genüge getan wird, beurteilen sie die Regelungen deshalb insgesamt als verfassungswidrig.

Dem Land Hessen gewährt das Gericht eine Neuregelungsfrist bis zum 30. September, die hamburgische Befugnis erklärt es hingegen für grundsätzlich nichtig. Deniz Celik, innenpolitischer Sprecher der hamburgischen Linksfraktion, betrachtet dies als »Anlass für eine grundlegende Evaluation und eine Überwindung des repressiven Polizeirechts in Hamburg«.

Es ist davon auszugehen, dass das Urteil nicht nur in Hessen und Hamburg Wirkung zeigt. Denn auch in Nordrhein-Westfalen hatte die GFF Beschwerde gegen eine fast identische Befugnis eingereicht, in Bayern droht ebenfalls der Einsatz von polizeilichen Big-Data-Analysen mit Palantir-Software. Moini ist überzeugt, dass dieses Urteil in die ganze Republik ausstrahlt. »Denn viele andere Bundesländer und der Bund arbeiten darauf hin, vergleichbare technische Möglichkeiten einsetzen zu können – oder tun es sogar bereits.«

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