Flugzeugträger »Anadolu«: Türkei wird Seemacht

Als erste Regierung der Welt rüstet Ankara ein Kriegsschiff mit Kampfdrohnen aus

Präsident Erdoğan nimmt den Drohnenflugzeugträger »TCG Anadolu« in Betrieb.
Präsident Erdoğan nimmt den Drohnenflugzeugträger »TCG Anadolu« in Betrieb.

Um eine militärische Seemacht zu werden genügt keine Flotte, gemeinhin braucht es dazu einen Flugzeugträger. Gemäß dieser Definition hat Russland den Status nunmehr verloren, nachdem die zur Nordmeerflotte gehörende »Admiral Kusnezow« im Dock in Murmansk verfällt. Es ist der einzige Flugzeugträger der russischen Marine.

Im Schwarzen Meer kann sich die Türkei deshalb bald als einzige Seemacht fühlen, denn jetzt nimmt das Land die »TCG Anadolu« in Betrieb. Der seit 2018 im Bau befindliche Flugzeugträger wurde im Sommer an das Militär übergeben und hat im Marmarameer anschließend die erforderlichen Tests und Probefahrten absolviert. Anschließend befand sich das Schiff in der Abnahmeprüfung, am Montag wurde es von Präsident Recep Tayyip Erdoğan offiziell als Flagg- und Kommandoschiff der türkischen Marine in Betrieb genommen. Auch im Mittelmeer befördert sich die Türkei damit zur Seemacht, den Titel teilt sie sich dort jedoch mit Frankreich, Italien und Spanien.

Die in Lizenz in einer türkischen Werft gebaute »Anadolu« ist eine Kopie der spanischen »Juan Carlos«, einem leichtgewichtigen Hubschrauberträger mit Amphibien-Eigenschaften für die Fahrt auch in flachem Wasser. Sie ist 232 Meter lang und verdrängt rund 27 000 Tonnen, ihre Höchstgeschwindigkeit beträgt 38 Kilometer pro Stunde, die maximale Einsatzdauer auf See 50 Tage. Laut dem türkischen Verteidigungsminister Hulusi Akar kann die »Anadolu« mit einer Besatzung von 700 Soldaten 94 Fahrzeuge transportieren. Ebenfalls an Bord ist ein Krankenhaus mit 30 Betten. Die Reichweite gibt das Ministerium mit fast 17 000 Kilometern an.

Ursprünglich wollte das türkische Verteidigungsministerium die »Anadolu« mit US-amerikanischen Kampfjets vom Typ »F35« bestücken. Jedoch wurde die Regierung vor vier Jahren aus dem amerikanisch-europäischen Programm ausgeschlossen, nachdem Erdoğan den Kauf des Boden-Luft-Raketensystems »S-400« aus Russland angekündigt hatte. Als Alternative erwog das Verteidigungsministerium zunächst den Ersatz durch das Kampfflugzeug »TAI Hürjet«, das die türkische Luftwaffe derzeit entwickelt. Vollgetankt und mit Waffen beladen wäre der Flieger aber zu schwer für die kurze Startbahn der »Anadolu«.

In den vergangenen Jahren ist die Türkei – neben den USA, Israel, China und mittlerweile dem Iran – zu einer ernstzunehmenden Drohnenmacht geworden. Allein für die Kampfdrohne »Bayraktar TB2« hat die Regierung nach eigenen Angaben Exportgenehmigungen in über zwei Dutzend Länder erteilt. Herstellerin ist die Firma Baykar Makina, deren Geschäftsführer in die Familie von Erdoğan eingeheiratet hat.

Vor diesem Hintergrund ist es naheliegend, dass das Militär die »Anadolu« statt mit Kampfjets der Nato-Verbündeten nun mit bis zu 80 Baykar-Drohnen bestücken will. Damit würde die Türkei das erste Land, das über einen Flugzeugträger mit Starrflügler-Kampfdrohnen verfügt. Mit dem Schachzug könnten die türkische Regierung und die Rüstungskonzerne des Landes aus dem Rauswurf aus dem »F35«-Programms sogar noch Kapital schlagen. Für Baykar Makina dürfte dies einen weiteren Schub für Drohnenexporte bedeuten.

Wegen Platzmangels an Deck des Flugzeugträgers muss die Starrflüglerdrohne allerdings modifiziert werden. Baykar hat dazu die Ausführung »TB3« mit längeren, aber faltbaren Flügeln entwickelt. So kann die Drohne platzsparend unter Deck geparkt werden. Einzelne Bauteile und Verbindungen müssen auch über eine höhere Festigkeit verfügen, um den erhöhten Schub der kurzen Startbahn aufzunehmen. Außerdem soll die »TB3« über eine beinahe doppelte Nutzlast gegenüber der »TB2« verfügen. Bald soll ihr Erstflug erfolgen und die Serienfertigung beginnen.

Zur Ausrüstung mit Drohnen wird die »Anadolu« an ihrem Bug mit einem Rollensystem für den Start der »TB3« ausgerüstet. Die Steuerung über lange Strecken erfolgt mithilfe von Satellitenterminals. Nach Aussage des Vorsitzenden der türkischen Verteidigungsindustrie soll es möglich sein, bis zu zehn Drohnen von einer an Bord befindlichen Kommandozentrale gleichzeitig im Einsatz zu führen.

Bis zur endgültigen Ausstattung mit Baykar-Drohnen wird die »Anadolu« vorläufig bis zu 24 Angriffs- und Versorgungshubschrauber an Bord nehmen. Erste Übungen mit mit den bemannten Drehflüglern soll die Marine bereits auf dem Deck der Anadolu durchgeführt haben.

Neben Hubschraubern und Drohnen will die türkische Marine zu einem späteren Zeitpunkt auch die „Kızılelma“ auf dem Flugzeugträger stationieren. Dabei handelt es sich um ein unbemanntes, düsengetriebenes Kampfflugzeug mit einem Abfluggewicht von über fünf Tonnen, davon 1,5 Tonnen Nutzlast. Allerdings befindet sich die „Kızılelma“ noch in der Entwicklung, lediglich ein Prototyp soll bereits zwei erfolgreiche Flüge absolviert und dabei Geschwindigkeiten von bis zu 800 km/h erreicht haben. Spätere Modelle sollen mit Überschallgeschwindigkeit fliegen.

Schon mit den Drohnenexporten hat die Türkei ihren außenpolitischen Einfluss deutlich gesteigert. Aufseiten Aserbaidschans sollen die „TB2“ im Angriffskrieg gegen Armenien zum Erfolg beigetragen haben, nach Einsätzen im Ukraine-Krieg haben auch die Nato-Partner Polen und Rumänien die Drohne bestellt. Viele Exporte erfolgen jedoch auch in afrikanische Länder.

Diesen Einflussbereich will die Türkei laut dem Verteidigungsminister Hulusi mit der »Anadolu« ausweiten. Das Land sei auf drei Kontinenten aktiv und »an der ganzen Welt interessiert«. Mit dem Flugzeugträger könnten nun »Missionen in allen Meeren« durchgeführt werden. Mit den neuen Fähigkeiten werde auch die Nato gestärkt. »Das sollte jeder wissen«, kündigt Hulusi an. Mit der »TCG Trakya« soll die »Anadolu« in einigen Jahren außerdem ein Schwesterschiff erhalten, den Auftrag dazu hat die Marine allerdings noch nicht erteilt.

Kritik an den maritimen Großmachtambitionen kommen indes von dem früheren Admiral Türker Ertürk. »Es ist nicht für uns geeignet, es wird sowieso kaputtgehen«, erklärte der hochrangige Militär jüngst in einer Fernsehsendung. Das Land verfolge derzeit keine überseeischen und imperialen Angelegenheiten. Zudem gebe es auf dem spanischen Schiff, nach dessen Vorbild das Schiff gebaut wurde, technische Probleme mit dem Antriebssystem, so der Admiral a.D. Diese würden auch auf der »Anadolu« auftreten. Auch handele es sich um ein amphibisches Angriffsschiff, das nicht allein durch die Bestückung mit Starrflüglern zu einem Flugzeugträger werde. Mit rund 650 Millionen Euro sei das Schiff im Vergleich zu den Seemacht-Schiffen der USA auch viel zu günstig.

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