Ex-Bild-Chefredakteur Reichelt: Gegen alles, was links scheint

Ehemaliger »Bild«-Chefredakteur macht rechte Stimmung auf Youtube

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Zeitalter der sozialistischen Ideologie hat am 14. Februar 2023 begonnen. Nur dürfte es außer Julian Reichelt wohl niemand mitbekommen haben. Der ehemalige Chefredakteur der »Bild«-Zeitung sieht in dem Beschluss des EU-Parlaments, ab 2035 keine Verbrennermotoren mehr neu zuzulassen, den Anbruch des neuen Sozialismus. Für ihn ist auch klar, dass dafür »linksgrüne Ideologen« verantwortlich sind, eine Klassifizierung, die er in fast jeder Sendung verwendet.

Reichelts journalistische Laufbahn war über lange Zeit vom Springer-Konzern geprägt. Seine Eltern waren »Bild«-Journalist*innen, schon in jungen Jahren machte er bei dieser Zeitung ein Volontariat und durchlief eine journalistische Laufbahn bei der Axel-Springer-Akademie. Sein schneller Aufstieg bei »Bild« wurde im Oktober 2021 beendet, nachdem sich Vorwürfe des Machtmissbrauchs und der Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen gegenüber jungen Mitarbeiterinnen in der Redaktion erhärtet hatten. Im Juli 2022 startete der gefallene »Bild«-Chef seine Karriere als Youtuber mit der Sendung »Achtung Reichelt«. Zu seinem Team gehört unter anderem die ehemalige »Bild«-Journalistin Judith Sevinç Basad, die bei Springer kündigte, weil dort eine »woke Kultur« Einzug gehalten habe. 

»Achtung Reichelt« arbeitet sich an Linken, Grünen, Feministinnen sowie sexuellen Minderheiten ab und findet Zuschauer*innen bei Rechtspopulistinnen aller Couleur. So wird die Sendung regelmäßig auf der rechten Internetplattform PI-News verlinkt. Im Oktober 2022 übernahm die Junge Alternative, die Jugendorganisation der AfD, eine Folge von »Achtung Reichelt« auf ihrer Kampagnenseite, mit der sie eine Kundgebung gegen eine Regenbogenkita im Berliner Stadtteil Schöneberg bewarb. Tatsächlich war Reichelts Beitrag ganz nach dem Geschmack der Rechten. Darin sprach er direkt imaginäre Eltern unter den Zuschauer*innen an, deren Kinder er in Gefahr wähnte, sollten sie in die Hände von »Kinderschändern« geraten.

Obwohl »Achtung Reichelt« bei AfD und anderen Rechten sehr populär ist, benennt Reichelt als erklärtes Ziel, Themen der Union in der Mitte der Gesellschaft zu verankern. Reichelt schweben Unionsparteien in der Tradition von Franz Josef Strauß und Alfred Dregger vor. Liberale CDU-Politiker*innen, die er in der Tradition der von ihm abgelehnten Merkel-CDU sieht, schlägt Reichelt schon mal dem linksgrünen Lager zu und überzieht sie mit beißender Kritik. Großes Lob von ihm bekam der Unionsvorsitzende Friedrich Merz, nachdem er arabische Jugendliche als kleine Paschas bezeichnet hatte. Die Formulierung gefiel Reichelt so gut, dass er sie gleich mehrmals in seinen Sendungen wiederholte.

Im Erstarken der CDU bei der Berliner Wiederholungswahl sieht er den Beweis, dass man mit rechten Themen Wahlen gewinnen kann. Dabei bescheinigt er sich unbescheiden, mit seinen Sendungen einen wesentlichen Anteil am Erfolg der Union zu haben: Man habe die angeblich von anderen Medien verschwiegenen Silvesterkrawalle immer wieder thematisiert und erst danach habe die Berliner CDU zunächst in den Umfragen und dann auch bei den Wahlen zugelegt. Gleich mehrere Sendungen hatte Reichelt dem angeblich von linksgrünen Ideolog*innen heruntergewirtschafteten Berlin gewidmet. Neben Law-and-Order-Propaganda sowie der Ablehnung von Klimaaktivismus und Feminismus gehört auch das Bekenntnis zur unumschränkten Freiheit des Kapitals und der Autobesitzer*innen zu den Essentials seiner Sendungen. Volksbegehren wie Deutsche Wohnen und Co. enteignen sind Reichelt ebenso ein Gräuel wie verkehrsberuhigte Straßen. Eine Abgrenzung nach rechts gibt es nicht, wie sich bei der letzten Sendung vor der Berlin-Wahl zeigte. Da rief Reichelt seine Zuhörer*innen auf, nur Parteien zu wählen, die nicht im Berliner Senat vertreten sind. Da konnten sich Anhänger*innen der FDP genauso angesprochen fühlen wie die der AfD und der CDU.

#ndbleibt – Aktiv werden und Aktionspaket bestellen
Egal ob Kneipen, Cafés, Festivals oder andere Versammlungsorte – wir wollen sichtbarer werden und alle erreichen, denen unabhängiger Journalismus mit Haltung wichtig ist. Wir haben ein Aktionspaket mit Stickern, Flyern, Plakaten und Buttons zusammengestellt, mit dem du losziehen kannst um selbst für deine Zeitung aktiv zu werden und sie zu unterstützen.
Zum Aktionspaket

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal