Wo bleibt der Gipfel gegen Polizeigewalt?

Nach dem Schuss auf 14-jährige mutmaßliche Ladendiebin: Wer über Jugendgewalt spricht, darf von Polizeischikane nicht schweigen.

Mitternachtssport und länger geöffnete Jugendeinrichtungen, Workshops mit der Feuerwehr und eine Wohnagentur, die jungen Menschen dabei helfen soll, mit dem Einstieg ins Erwachsenenleben aus dem Kinderzimmer ausziehen zu können: Alles gute Maßnahmen, die auf dem zweiten Gipfel gegen Jugendgewalt beschlossen wurden. Denn es ist richtig, sich die Lebenssituation junger Berliner*innen anzusehen, wenn man die Krawalle an Silvester verstehen und in Zukunft verhindern will.

Doch um einen Punkt macht das Maßnahmenpapier einen großen Bogen: Nicht nur Rettungskräfte wurden angegriffen, Raketen und Böller flogen maßgeblich auf die Polizei. Und dafür gibt es neben Frustration, Perspektivlosigkeit oder anderen psychologisierenden Erklärungen einen wichtigen Grund: Rache. Rache an der Staatsgewalt, die insbesondere migrantisierte Jugendliche schikaniert und auf kleine Verstöße mit Härte antwortet, frei nach dem Motto: Zuckerbrot und Peitsche. Nur ohne Zuckerbrot.

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Ein besonders extremes Beispiel stellt der Polizeieinsatz am Wochenende im Hauptbahnhof dar. Eine 14-Jährige soll im Drogeriemarkt beim Klauen erwischt worden sein. Der Ladendetektiv nahm ihr laut Polizeimeldung mehrere Messer ab und hielt sie fest, bis die Bundespolizei kam. Was dann geschah, lässt sich leider bisher nur aus der Polizeidarstellung erschließen. Das Mädchen soll ein weiteres Messer gezückt – oder nur in der Hand gehalten – haben. Daraufhin schoss einer der Beamten und traf es an der Hand.

Unabhängig davon, wie sich der Einsatz im Detail abspielte, wirkt der Schusswaffengebrauch ungerechtfertigt. Und er steht exemplarisch für das grundlegende Paradox der Sicherheitspolitik, soziale Probleme mit Repression und Gegengewalt zu lösen. Wenn dem Senat wirklich daran gelegen ist, in diesem Jahr einen entspannteren Rutsch zu feiern, dann bräuchte es weniger Polizei in den »Problemkiezen« und eine ernsthafte Aufklärung von Polizeigewalt.

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