Wo Sahra Wagenknecht als Lösung gilt

Studie analysiert auf den Montagsdemonstrationen verbreitete Ansichten

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 4 Min.

An der politischen Ausrichtung der sogenannten Montagsdemos in Gera kann kein Zweifel bestehen. Auf dem Höhepunkt der Proteste im vergangenen Herbst zog es wiederholt mehrere tausend Menschen auf die Straße, die größte Demonstration mit 10 000 Teilnehmer*innen fand am 3. Oktober statt, dem Tag der Deutschen Einheit. Prominentester Redner auf der Veranstaltung: Björn Höcke. Neben dem faschistischen Thüringer AfD-Politiker sprachen Jürgen Elsässer, Herausgeber des völkischen Magazins »Compact«, und Martin Kohlmann, wichtigster Kopf der Kleinstpartei »Freie Sachsen«. Organisiert hatte das Schaulaufen der extremen Rechten der Neonazi Christian Klar, der in Gera regelmäßig als Demonstrationsanmelder der Montagsproteste auftritt. Auch auf späteren Montagsdemos traten vergleichbare Redner auf, am 7. November etwa der Ex-AfD-Politiker und frühere Höcke-Vertraute André Poggenburg.

Im Fokus einer am Mittwoch vorgestellten Analyse der Berliner Denkfabrik Progressives Zentrum, der Bertelsmann-Stiftung und der Technischen Universität Dresden stehen allerdings nicht die Führungsfiguren dieser Proteste, sondern jene Menschen, die sich von den Demonstrationen angesprochen fühlten. In Gera und in Chemnitz befragten die Forscher*innen deshalb hauptsächlich Teilnehmende, »die nicht durch radikale Protestbanner und Symbole auffielen«, wie es in der Studie heißt. In den insgesamt fast 200 Interviews, geführt an jeweils sechs Terminen in beiden Städten, sollten die Befragten Auskunft über ihre politische Verortung geben, die Beweggründe ihrer Teilnahme erklären und Fragen zu ihrem Verständnis von Demokratie beantworten. »Die Proteste kanalisieren eine diffuse Unzufriedenheit und das Gefühl, die eigenen Interessen fänden in der Politik keine Berücksichtigung, aber kaum konkrete politische Forderungen«, fasst Kai Unzicker, Experte für gesellschaftlichen Zusammenhalt der Bertelsmann-Stiftung, die Ergebnisse der Befragungen zusammen.

Auffällig ist: 55 Prozent der Befragten gaben an, seit Jahren regelmäßig an sogenannten Montagsdemos teilzunehmen. Entsprechend vielfältig sind auch die Beweggründe, haben sich die Anlässe der Proteste über die Jahre doch verändert. Ging es 2015/2016 auf den vom verschwörungsideologischen und rechten Spektrum organisierten Demos maßgeblich um Asylpolitik, war der Zeitraum von 2020 bis Anfang 2022 von der Corona-Pandemie geprägt, während sich der Schwerpunkt vergangenes Jahr auf das Thema Ukraine-Krieg verschob. Wenig überraschend erklärt die Hälfte der Befragten dann auch, dass Kritik an der deutschen Regierungslinie in dieser Frage einer ihrer Beweggründe für die Demonstrationsteilnahme sei. Unzufriedenheit mit der Corona-Politik folgt mit etwas über 40 Prozent auf Platz zwei und dies, obwohl die Befragungen im November 2022 und Januar 2023 stattfanden, also in einem Zeitraum, als die Pandemie in der allgemeinen öffentlichen Wahrnehmung kaum noch eine Rolle spielte. Interessanterweise war die Inflation für nicht einmal jeden fünften Befragten eine Motivation, auch die »Unzufriedenheit mit der Energiepolitik« wurde nur von knapp einem Drittel als Beweggrund genannt.

»Die große Mehrheit der Befragten ist überzeugt, für die Rettung der Demokratie auf die Straße zu gehen, und sieht sich mit einem positiven Auftrag ausgestattet«, heißt es in der Studie. Allerdings zeige sich dabei häufig ein problematisches Demokratieverständnis. »Jede öffentliche Abwägung, Erklärung für Zweifel oder Kompromisse von Seiten der Regierung werden als Zeichen der Schwäche oder als Beweis für eine mangelhafte Demokratie verstanden«, erklärt Paulina Fröhlich, stellvertretende Geschäftsführerin des Progressiven Zentrums. In der qualitativen Studie werden als Beleg eine Vielzahl an Äußerungen aus den Befragungen zitiert. »Das sind keine Menschen, die uns vertreten, keine Volksvertreter«, lautet eine Antwort. »Deutschland ist nicht souverän. Gibt es einen Friedensvertrag oder nicht? Warum sind die Amis noch hier?«, ist eine andere. »Das Deutschlandbild der Befragten ist oft nationalistisch geprägt und verlangt einen ›souveränen‹ (im Sinne von gänzlich auf sich selbst orientiert) handelnden Staat«, heißt es schlussfolgernd in der Studie.

Eine relative Mehrheit der Befragten traut keinem politischen Akteur die Lösung von Problemen zu, 38 Prozent sehen dies laut Studie so. Spannend ist, wie bei der offen gestellten Frage – es wurden also keine Antwortmöglichkeiten vorgegeben – die weiteren Plätze aussehen. Ein Drittel der Befragten nennt den Namen Sahra Wagenknecht (Die Linke). Dahinter folgen die AfD (26 Prozent) und als zweite namentlich genannte Person auf dem vierten Platz die AfD-Bundesvorsitzende Alice Weidel (19 Prozent). Die Studienautor*innen betonen, dass die zwei Politikerinnen »sehr oft« in Kombination genannt worden seien.

Gewarnt wird, dass die Montagsdemos weitere Auswirkungen auf die politische Landschaft in Ostdeutschland haben könnten. Womöglich gelinge es den Organisatoren, »bei den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen im Sommer und Herbst 2024 eigene Themen zu setzen und Diskurse antidemokratisch zu prägen«.

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