Die »politische Weltumseglung« des Grünen-Politiker Jungclaus

Ex-Abgeordneter der Grünen berichtet im Landtag von seiner »politischen Weltumseglung«

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 5 Min.

Wenn einer eine Reise tut, und erst recht, wenn es sich um eine Seereise handelt, dann muss er einfach was erzählen. Bis vor knapp vier Jahren war Michael Jungclaus Landtagsabgeordneter der Grünen in Brandenburg, dann wurde sein Fernweh übermächtig. Gemeinsam mit Frau Uta brach er auf zu einer »politischen Weltumseglung«. Am Dienstagabend traten beide im Potsdamer Landtagsschloss auf und legten in Wort, Bild und Film von ihrer großen Fahrt Zeugnis ab.

28 Monate auf See liegen hinter ihnen, doch ganz um die Welt haben sie es trotz dieser langen Zeit nicht geschafft. Ihr Segelschiff »Daphne« liegt derzeit in Australien vor Anker, Jungclaus unterbrach die Weltreise erst einmal. Denn wenn er dabei etwas gelernt habe, dann dass bei einem solchen Unternehmen wenig bis nichts planmäßig funktioniere und wenn doch, dann oft aus völlig anderen als den erwarteten Gründen.

Von Stralsund aus brachen die beiden im Sommer 2019 auf, um zunächst die vertraute europäische Welt zu entdecken. Tallinn, Riga, Amsterdam, Lissabon liegen am Weg und laden zum Besuch ein. Jungclaus ist bei seiner Weltreise nicht nach Zerstreuung zumute. Die Leitsterne seiner Fahrt sind in der von ihm genannten Reihenfolge »Klimaschutz, Müll, Menschenrechte«. Was ihm begegnete, habe er auf die »Auswirkungen auf die Menschen« hin abgeklopft.

Im Ärmelkanal kreist ein Polizeihubschrauber über ihnen, des Lärms wegen ist keine Kommunikation möglich, und sie rechnen schon mit Verhaftung. Die Biskaya wird ihrem Ruf als stürmische Ecke gerecht. Das ist die große Bewährungsprobe, zumal es die erste schwere Havarie am Schiffskörper zu beheben gilt.

Madeira und die Kanarischen Inseln bilden dann das Absprungbrett für die Fahrt über den Atlantischen Ozean. Als Teil einer Armada von 200 Schiffen wagt es das Ehepaar Jungclaus, in einem verhältnismäßig kleinen Boot über den Ozean zu segeln. »Schon nach einem Tag haben wir keines von den Begleitbooten mehr gesehen«, erinnert sich Hobby-Kapitän Michael Jungclaus. Sie bleiben angewiesen auf den Funkverkehr. Fast drei Wochen dauert es, bis wieder Land in Sicht kommt. Ein wenig tröstet dabei, dass Kolumbus für diese Strecke drei Monate brauchte.

In Martinique gibt es das Wiedersehen mit den Kindern und das Weihnachtsfest in ungewohnt tropischer Atmosphäre. Weiter geht die große Fahrt auf das südamerikanische Festland zu.

Fast schadstofffrei um die Welt

Mit seinem Schiff »Daphne« sei er »weitgehend schadstofffrei« um die halbe Welt gekommen, aber wegen der zu erwartenden Flauten musste auch eine dieselbasierte »Segelunterstützung« dabei sein. Jungclaus wird grundsätzlich: Die weltweite Schifffahrt ist ein Klimamonster. 15 Prozent des globalen Stickstoffoxid-Ausstoßes und 13 Prozent der Schwefeldioxid-Emission gehen auf das Konto der vor allem mit Schweröl betriebenen Seefahrt. Die so erzeugte Lungenbelastung sei enorm bei diesem Abfallprodukt der Erdölindustrie. Etwa 60 000 Menschen jährlich sterben Jungclaus zufolge vorzeitig wegen der dadurch verursachten gesundheitlichen Schäden.

Dem Fair Trade, dem fair gehandelten Produkt, folgt der »Fair Transport«. Eine diesbezügliche Idealkonstruktion begegnet Jungclaus in Venezuela: ein Schiff, das wind- und sonnengetrieben ist und sogar über eine Vorrichtung verfügt, die Solarstrom in Wasserstoff umwandelt. Damit kann sich das Schiff vorwärtsbewegen, wenn Wind und Sonne als Energiequelle ausfallen. In Venezuela begegnen dem Paar auch Menschen, deren Großeltern noch Sklaven waren.

Müll im Meer

Der französische Ethnologe Claude Lévi-Strauss (»Traurige Tropen«) hat schon in den 50er Jahren die Vermüllung der außereuropäischen Welt beklagt. Jungclaus kann das nur bestätigen: »Müll lag in den entlegensten Ecken« und im Grunde überall, wo sie anlandeten. Noch bedenklicher für ihn: der Nachlass der Fischereiindustrie. In den Meeren schwimmen Unmengen zurückgelassener Netze und andere Utensilien. Ihm selbst bereitet das nicht nur Kopfzerbrechen wegen der Umwelt, sondern es bescherte ihm auch eine festgefahrene Schiffsschraube.

Das Ehepaar will in Kolumbien den Zusammenhang von dortiger Steinkohle und deutscher Stromproduktion untersuchen und setzt eine Fahrt fort, die Jungclaus als seinen »Kindheits- und Lebenstraum« bezeichnet. Doch wen Gott strafen will, dem erfüllt er seine Wünsche. Gerade noch in den Hafen Santa Marta kommt die »Daphne«, dann fällt hinter ihnen die Tür des Corona-Lockdowns ins Schloss. Sie verbringen fast acht Monate unfreiwillig in dieser hochklassigen Marina, gemeinsam mit anderen Weltseglern und ohne Gewissheit, wann es weitergehen könnte. »Eingesperrt im Paradies« nennt Jungclaus diese 218 Tage in seinem Internet-Logbuch.

Zu Wasser und zu Lande

Ein Baumhaus an Land teilen sie sich mit exotischen Insekten. Die Nachtkamera nimmt wohl auch mal einen Jaguar auf, der durch das Gelände des Resorts streift. Fledermäuse und Kakerlaken lassen sich nicht mehr vom Boot fernhalten. Eine seltsame Folge der Pandemie erleben sie mit dem benachbarten Delphinarium, das ebenfalls schließen muss. Die Tiere langweilen sich, müssen »ausgeführt« werden, und »in ihrem Bedürfnis nach den Menschen« zeigen sie so viel Interesse an den Zwangsurlaubern, dass es denen mit der Zeit schon fast lästig wird.

Jungclaus schildert die sozialen Folgen von Corona in einem armen Land. Nahezu über Nacht wurden die meisten Menschen arbeitslos und warteten oft vergeblich auf Hilfe, obwohl diese Hilfe auf ein Signal hin versprochen war. »Die Regierung hatte Bedürftige aufgefordert, eine rote Fahne herauszuhängen, aber es kam trotzdem niemand.« Die blanke Hungersnot droht.

Gemeinsam mit anderen, die in der Marina festsitzen, organisieren die deutschen Gäste eine Art Tafel für die Menschen in ihrer Umgebung. Das Geldkartensystem funktioniert auch in Corona-Zeiten, unaufgefordert sammeln Bekannte in Europa insgesamt 11 000 Euro. Davon werden Lebensmittel gekauft und es wird zwölfmal eine Verteilung organisiert.

Die Frau muss und will nach Hause

Endlich weiter geht es dann über den Panamakanal nach Panama City. Von da an hat Michael Jungclaus seine Frau nicht mehr dabei. Sie muss ihres Berufs und will der Kinder wegen wieder nach Hause. Über den Pazifik in die Inselwelt der Südsee und bis nach Australien steuert Michael Jungclaus sein Boot.

Die Frage, was so eine Weltreise kostet, rechnet der Fahrensmann Jungclaus auf seiner Website sailingdaphne.com vor. Pro Monat seien 2500 Euro eingeplant gewesen, 1500 davon allein für den Bootsbedarf. Das sei nicht aufgegangen, denn »die Lebensmittel waren teuer als gedacht«. In der langen Corona-Pause habe man dann wieder Geld gespart, sodass man an deren Ende »fast im Plan gelegen« habe.

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