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  • Zentrum für Aktuelle Kunst: »HAUT«

Die Hautsache

Das Zentrum für Aktuelle Kunst zeigt in der Zitadelle in Berlin-Spandau die Ausstellung »HAUT«

  • Matthias Reichelt
  • Lesedauer: 4 Min.
Yishay Garbasz: »Becoming«, 2010, Zoetrope
Yishay Garbasz: »Becoming«, 2010, Zoetrope

Die Haut als äußerstes und zugleich größtes Organ des Menschen ist auch das verletzbarste. Sie ist das prägende Äußere jeder Person und damit, nicht nur durch Pigmentierung in allen Schattierungen, ein Parameter der Identität. Unzählig sind die Werke der Literatur, die die Bewertung der Hautfarbe als rassistisches Phänomen behandeln, oder Filme wie »Skin«, die sich dem Organ als Folie politischer und identitärer Tattoos widmen. In Songs wie Cole Porters »I’ve Got You Under My Skin«, der es ins »Great American Songbook« schaffte, ist das Organ die Schutzhülle, die eine Liebe durchdrungen hat, um sich im Innersten der Person anzusiedeln. 

Die Haut ist zum Kern vieler Metaphern geworden und ist als Aushängeschild des Menschen in der figurativen bildenden Kunst schon immer präsent. Nun nimmt sich eine Ausstellung mit Werken von 28 internationalen und in Berlin lebenden Künstlerinnen, zusammengetragen vom Verein Frauen Museum Berlin e. V., ganz neu den unterschiedlichen Aspekten des Organs an. Zu sehen ist »HAUT« im Zentrum für Aktuelle Kunst (ZAK) in der Zitadelle Spandau. 

Seitdem Ralf Hartmann dort die Leitung vor mehreren Jahren übernommen hat, mausert sich das ZAK zu einem Hotspot der zeitgenössischen Kunst in Berlin. So enthält auch diese aktuelle Ausstellung faszinierende Arbeiten auf hohem künstlerischem Niveau, die eindrucksvoll Schutz, Verletzbarkeit, Gedächtnis und Durchlässigkeit dieses Organs behandeln. Die beiden Kuratorinnen Julie August und Katharina Koch versammelten die Werke nach den drei von ihnen definierten Funktionen, nämlich als Speichermedium (Archiv), durchlässige Hülle (Membran) und als lebenswichtiges Instrument (Organ).

Bei der Künstlerin Yishay Garbasz kommen alle drei Funktionen zum Tragen. In »Becoming« projiziert sie Fotografien ihres nackten Körpers von den Phasen der allmählichen transsexuellen Umformung von einer männlichen zu einer weiblichen Identität als Filmsimulation in einem Zoetrop. Die etappenweise Transformation konterkariert das heteronormative und starre Verständnis von Geschlecht und lässt es eher als fluide erscheinen. In der Fotoserie »Number Project« verarbeitet Garbasz das transgenerative Trauma ihrer jüdischen Mutter, die Auschwitz und Bergen-Belsen überlebte und danach ihre tätowierte Auschwitz-Nummer »A2867« entfernen ließ. Die Künstlerin hat sich diese Zeichen für Zeichen in einem schmerzhaften Reenactment wieder eingebrannt und den Prozess mit der Kamera dokumentiert. Die Nummer auf ihrem Arm ist nun bei ihren aktivistischen Engagements für die Emanzipation von trans Personen deutlich sichtbar als Fanal der Erinnerung wie der Warnung vor gesellschaftlicher Entmenschlichung und Ausgrenzung.

Krankheitsbedingte und natürliche Prozesse, die Veränderungen des Körpers nach sich ziehen, werden in der dialogischen Fotoarbeit von Dorothea Nold und Moran Shavit behandelt. Nolds Körper reagiert nach der Krebsdiagnose auf die Chemotherapie und ist außerdem von den Operationsnarben gezeichnet, während Shavits Bauch sich durch die Schwangerschaft rundet und den Körper verändert. Vergänglichkeit und Wachstum sind in dieser autobiografischen Arbeit beider Künstlerinnen eng miteinander verzahnt und repräsentieren den Kreislauf des Lebens.

Narben, Stiche, Schnitte und Nähte sind die sichtbaren Läsionen der Haut, die in vielen Arbeiten in verschiedenen Abstraktionsstufen thematisiert werden. Darüberhinaus ist die Haut ein Empfindungsorgan, über deren Nerven und Zellen erfahrene Geschichte mittels Haptik in den Körper dringt und dort mitunter verarbeitet und gespeichert wird. Diesen Vorgang meint vermutlich Tina Bara, die mit einer von 1993 bis 1995 entstandenen Serie von Schwarz-weiß-Fotografien in großen und kleinen Formaten vertreten ist. Die dort sichtbaren Verletzungen und Altersspuren der Makroaufnahmen von Haut begreift sie metaphorisch als sinnbildliche Narben, die bei der Vereinigung der beiden deutschen Staaten in der Nachwendezeit entstanden sind.

Isabel Kerkermeier greift in einem »zerstörerischen« Akt in ausgediente große Werbebanner ein, fügt dem Bildmotiv wie einer Haut Verletzungen zu und lässt die losgelösten Fäden und Fasern herabhängen. Wo die gewobene Schicht fehlt, wird ein Netz als Trägerschicht sichtbar. Gleich zu Beginn des Ausstellungsparcours findet sich ein Ganzkörperabguss der Künstlerin Mehtap Baydu. Die Körperform ist längsseitig aufgeschnitten und aufgeklappt auf dem Boden drapiert. Es hat den Anschein, als ob sie sich ihrer Haut wie einer Bekleidung entledigt, diese abgestreift und den Raum verlassen hätte. Margherita Pevere wiederum hat sich wie eine Wissenschaftlerin als »Zellforscherin« an der künstlichen Produktion von Haut erprobt und verblüffend echte Anmutungen von Hautstücken aus einer Nährflüssigkeit mit bakteriellen Kolonien hergestellt, die wie kostbare Preziosen in einer Vitrine präsentiert sind.

Wie zu erwarten war, sind auch Werke versammelt, die Krieg, Flucht und Vertreibung behandeln. Rachel Kohn widmet der dritten Haut, der Architektur von Wohnhäusern, mehrere ihrer Tonskulpturen und zeigt die vom Krieg versehrten Häuser mit ihren »verwundeten« Fassaden. Harriet Gross’ Zeichnungen auf Japanpapier, montiert auf feinem Drahtgitter, ziehen sich an der Wand entlang und muten einerseits wie Luftaufnahmen von Grenzen an, assoziieren andererseits lädierte Hautoberflächen. In der mehrteiligen Installation, unter anderem auch mit goldener Rettungsfolie, erinnert Gross an die an vielen Orten der Welt tagtäglich stattfindenden furchtbaren Dramen von Menschen auf der Flucht.

»Haut«, bis zum 7. Mai, Zentrum für Aktuelle Kunst, Berlin.

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