Hochleistungswettkampfgrillen

Koch-Shows und -Zeitschriften liegen im Trend. Doch selbst am Titel lässt sich erkennen, für wen was gemacht ist

Kochsendungen und Rezeptseiten haben längst ihr Schattendasein im Journalismus überwunden. Früher wurden sie betreut von unterbezahlten Frauen, denen man in der Redaktion keine wichtigen Aufgaben zutraute, weil – Frauen halt. Die Restaurantkritiker waren selbstverständlich Männer, aber Kochrezepte für den Alltag gingen ja nur Hausfrauen an. Also unwichtig.

Jetzt hingegen gibt es dafür einen sogenannten Genussredakteur. Essen und Rezepte gehören inzwischen zu der Lifestyle-Rubrik, also dort, wo man auch Design findet. Nicht mehr in der Schmuddelecke zwischen Kreuzworträtseln und Strickmustern. Im Gegenteil: Auf Instagram posten junge Influencer*innen Fotos jeder Mahlzeit, die sie zu sich nehmen. Essen soll nicht sattmachen, sondern vor allem schön aussehen – ein ganz neues Konzept in der Evolutionsgeschichte.

Sheila Mysorekar
Sheila Mysorekar ist Journalistin und war langjährige Vorsitzende der Neuen deutschen Medienmacher*innen. Heute ist sie Vorsitzende der Neuen Deutschen Organisationen, einem bundesweiten Netzwerk aus rund 180 postmigrantischen Organisationen. Für »nd« schreibt sie die monatliche Medienkolumne »Schwarz auf Weiß«.

Während die Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie beklagt, dass die Deutschen immer weniger selbst kochen, sondern bestenfalls eine Fertigpizza in den Ofen schieben, laufen im Fernsehen von früh bis spät Kochshows. Die meisten sind extrem kompetitiv. Meisterköche kochen im Duell gegeneinander an, Messer werden gekreuzt, es muss einen Gewinner geben, es geht um Sieg! Leistung, Leistung, Leistung!

Die Idee, dass gemeinsam kochen etwas Gesellig-Gemütliches sein kann, ist völlig abhandengekommen. In der ersten populären deutschen Kochsendung »alfredissimo« ab Mitte der 1990er Jahre kochte Moderator Alfred Biolek noch in Echtzeit: Nichts war vorbereitet, jede Zwiebel wurde vor der Kamera geschält und langsam von Hand kleingeschnitten. Alles dauerte genauso lang, wie kochen eben dauert. Dabei plauderte Biolek mit den Gästen, und alle tranken viel Rotwein. Niemand beurteilte irgendwen, sondern sagte bestenfalls: »Mmm lecker!« Anders als bei den Hochleistungsköchen heutzutage konnte man sich durchaus zutrauen, die Gerichte ebenso entspannt nachzukochen.

Inzwischen ist das Thema Ernährung für die Medienbranche ein sehr lukratives Geschäft. Dabei finde ich besonders interessant, dass der Zeitschriftenmarkt nach wie vor mit traditionellen Geschlechterrollen arbeitet, sobald es ums Essen geht. »Meine Familie & ich« beispielsweise – da ist völlig klar, dass mit diesem imaginären Ich eine Hausfrau mit Mann und Kindern gemeint ist und nicht etwa ein schwuler Mann mit seiner Familie.

»Köstliche Landhausküche« bietet genau das, wie auf dem Titel versprochen wird: Rezepte für Frauen, die auf dem Land leben. Die Zeitschrift ist bieder aufgemacht – Rezepte plus Foto, Putengulasch, Kartoffelsuppe, Fisch. Diese Art von Koch-Zeitschriften ist an Frauen gerichtet, die jeden Tag eine Familie satt kriegen müssen.

»Beef!« hingegen ist für Männer, die am Wochenende grillen. Aber nicht irgendein Karl-Heinz, der hinter der Garage ein paar Würstchen brutzelt. Nein, »Beef!« ist für Besserverdiener mit einem rostfrei glänzenden, stählernen Wettkampfgrill. Schon der Untertitel der teuren (12,50 Euro) Zeitschrift ist bemerkenswert: »Männer kochen anders«. Ja, wie denn anders? Schlachten sie jeden Salat eigenhändig? Haben sie das Olivenöl selbst erlegt? Braten sie Spiegeleier auf der erhitzten Kühlerhaube ihres Porsches?

Letztendlich geht es bei »Beef!« überhaupt nicht ums Kochen, nicht mal wirklich ums Grillen. Es geht um Fleischkonsum. Auf jeder Seite sehen wir massive DIN A4-Hochglanz-Steaks, roh, gebraten, gegrillt. Vermutlich wird die Zeitschrift von der Fleischerinnung gesponsert. Ich bin sicher, CSU-Chef Markus Söder hat ein Abonnement.

Dann wiederum gibt es Medienerzeugnisse mit Spezialwissen, die sich ausschließlich dem Thermomix widmen oder Rezepten für glutenfreies Essen. Was weitgehend fehlt, sind unkomplizierte Rezepte für die Millionen Menschen, die sich mit wenig Geld gesund ernähren müssen. Eine erfreuliche Ausnahme ist die Kolumne »Kochen ohne Kohle« bei »Spiegel Online«. Dort werden Mahlzeiten vorgestellt, die man für 1,50 bis 2 Euro pro Portion kochen kann. Auch der Sternekoch Nelson Müller gibt im ZDF nützliche Tipps, wie man günstig und gesund einkaufen kann. Für den Posten »Nahrung, Getränke, Tabakwaren« sind im Bürgergeld pro Tag 5,60 Euro vorgesehen – bei rapide steigenden Lebensmittelpreisen. Dann heißt Lifestyle schlicht: überleben.

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