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  • Deutsche Oper Berlin: »Arabella«

Die Heiligkeit der Liebe und das Geld

Ein hübsches Liebes- und Intrigenstück: Richard Strauss’ »Arabella« an der Deutschen Oper Berlin

  • Kai Köhler
  • Lesedauer: 4 Min.
Ob es der Wahrheitsfindung dient? In »Arabella« wird das szenische Geschehen durch Filmprojektionen verdoppelt.
Ob es der Wahrheitsfindung dient? In »Arabella« wird das szenische Geschehen durch Filmprojektionen verdoppelt.

Wien um 1860: Was er an Vermögen besaß, hat Graf Waldner weitgehend verspielt. Der Rest reicht vielleicht noch, um Arabella zu verheiraten, die eine seiner beiden Töchter ist. Die andere, Zdenka, wird als Zdenko verkleidet und muss als Junge auftreten. Waldners letzte Hoffnung ist der vermögende Mandryka, ein Regimentskamerad aus seiner Militärzeit. Der erweist sich zwar als gestorben, und das Bild Arabellas, das Waldner ihm geschickt hat, erreicht nur den Neffen. Doch der Erbe verliebt sich sogleich in den Anblick und bricht nach Wien auf.

Natürlich scheinen die Probleme damit nur gelöst. Die musikalische Komödie hat drei Akte und allerhand Verwicklungen, zu denen die Vielzahl der Verehrer Arabellas und vor allem Zdenkas Verkleidung beitragen, bis das genrebedingt glückliche Ende erreicht ist. Mehrfach droht der Ernst überhandzunehmen. Mag der Komponist Strauss, als er seinen Librettisten Hugo von Hofmannsthal um ein »hübsches Liebes- und Intrigenstück« bat, sich selbst »wirklich Humor und Witz« sowie »ein großes Talent zur Operette« bescheinigt haben – er konnte doch nicht aus seiner Haut. Man hört einige Zitate von Populärmusik und manche einprägsame Motive, doch insgesamt eine dicht gearbeitete und oft kleinteilige Musik. Die Brüche zwischen Plan und Ausführung, oft auch zwischen Text und Musik sind unüberseh- und -hörbar. Das muss nicht gegen das Werk sprechen, denn solche Widersprüche können auf Widersprüche in der Sache verweisen und auf der Bühne produktiv werden.

Regisseur Tobias Kratzer hat eine Fülle von Ideen gehabt, die sich allerdings nicht zu einem Ganzen fügen. Erfreulich ist, dass er die Figuren des Werks ernst nimmt, sie nicht karikiert. Man erlebt Menschen, die etwas wollen und sich dafür einsetzen. Auch der glückliche Ausgang wird nicht denunziert. Besonders Arabella und Mandryka, die sich nach leichtem Beginn gegenseitig schlimm verletzen, erweisen sich als lernfähig. Dieses Ende ist bei dieser Oper nur ohne Scheu vor Gefühlen zu inszenieren, wobei es zugleich gilt, Kitsch zu vermeiden. Diese Balance ist gelungen.

Weniger gelungen ist der Einsatz von Videoprojektionen. Im ersten Akt gibt es immerhin noch, neben viel nutzloser Abfilmerei des Bühnengeschehens, ein paar erhellende Sequenzen: etwa wenn Bediente, eigentlich Hintergrundfiguren, groß zu sehen sind und damit die gleichgültige Aufmerksamkeit, mit der sie die Krise der Oberen beobachten; oder wenn man, als Mandryka von der Heiligkeit der Liebe singt, das Geld sieht, das er dem künftigen Schwiegervater zuschiebt. In der instrumentalen Einleitung zum dritten Akt aber ist das Video schlimmer als überflüssig. Wer Ohren hat, hört, dass sich musikalisch jene erotische Szene abspielt, die zu den folgenden Verwicklungen führt. Man muss das nicht im Bild zeigen. Und der weitere Verlauf im Mit- und Gegeneinander von Musik, Wort und Szene ist vielschichtig genug. Zusätzlich eine alternative Handlung zu projizieren, macht das Ganze diffus.

Der erste Akt spielt bei Kratzer tatsächlich im 19. Jahrhundert. Der zweite ist in der Entstehungszeit der Oper angesiedelt, den 20er Jahren. (Warum einmal ein paar SA-Männer über die Bühne toben und alles zerdeppern, das aber folgenlos bleibt, weiß nur der Regisseur.) Der Schlussakt dann führt in die Gegenwart, zeigen jedenfalls die Kostüme. Der Erkenntniswert von all dem ist gering.

Das Stück ist klüger, indem es mit der Gleichzeitigkeit von Milieus und Wertsystemen arbeitet. Die Auseinandersetzungen auch im dritten Akt sind unverständlich ohne den Ehrbegriff des Adels im 19. Jahrhundert. Der war auch schon veraltet, als das Stück komponiert wurde. Aber er steht für etwas, das zur Entstehungszeit wie im Premierenjahr 2023 aktuell ist: wie ökonomisch absteigende Gruppen ihren Status zu verteidigen versuchen. Und die Oper zeigt, warum dies nicht funktioniert. Was die Absteiger als niedrig abzutun versuchen, gewinnt die Oberhand. Im zweiten Akt, der auf einem Wiener Faschingsball spielt, vermischen sich die Bereiche, und der Adel trifft schon auf die Halbwelt. Das ist in Kratzers Inszenierung viel zu harmlos gezeichnet. Seine Ansicht dagegen, dass bei Hofmannsthal schon Geschlechterfluidität angelegt sei, lässt sich kaum umsetzen. Wie bei den meisten Verkleidungs- und Rollentauschkomödien wird die Geschlechterordnung nur angekratzt, um mit dem Ehefinale desto fester zu bestehen.

Musikalisch ist die Aufführung durchwachsen. Das Orchester der Deutschen Oper unter Donald Runnicles hatte keinen guten Abend; im ersten Akt fehlte die Präzision und durchgehend die Emphase, die die Gefühle, um die es geht, erst glaubwürdig macht. Überzeugend war das Elternpaar Waldner: Albert Pesendorfer gab einen bei allem Scheitern immer noch mächtig auftretenden Grafen, Doris Soffel mit dunklem Timbre und klug phrasierend die in Nöten organisierende Mutter. Russell Braun, der den Mandryka sang, ließ sich als indisponiert ankündigen, schonte seine Stimme, erwies sich aber durch klugen Einsatz seiner Mittel als mindestens ebenbürtiger Partner von Sara Jakubiak in der Titelrolle. Der Sopran Elena Tsallagovas ließ strahlend und textverständlich die in Männerkleider gezwungene und schließlich eigenständig handelnde Zdenka beinahe als Hauptfigur erscheinen.

Nächste Vorstellungen: 23., 26. und 30. März
www.deutscheoperberlin.de

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