Weltklimarat IPCC: Klimarettung als Glücksspiel

Lasse Thiele über den Bericht des Weltklimarats IPCC

  • Lasse Thiele
  • Lesedauer: 3 Min.

Kürzlich erschien der letzte, zusammenfassende Teil des wie üblich in Salamitaktik über mehrere Jahre veröffentlichten sechsten Weltklimaberichts. Die Routine ist so eingefahren, dass man sie ruhig mal verpassen kann: jedes Mal ein bisschen Medienarbeit, ein bisschen mehr Krise, ein bisschen allgemeines Desinteresse.

»Follow the science«, hört auf die Wissenschaft, fordern Klimaengagierte seit Jahren. Natürlich geben die Berichte des Weltklimarats IPCC der Bewegung zunächst einmal recht – und das sogar mit dem Stempel der Regierungen aller Staaten in der UN-Klimakonvention, die zumindest die (hauptsächlich gelesenen) Kurzfassungen zeilenweise absegnen.

Dass die »Follow the science«-Strategie angesichts der IPCC-Berichte aber an ihre Grenzen stößt, liegt nicht primär an dieser Zensur. Die drei IPCC-Arbeitsgruppen widmen sich naturwissenschaftlichen Erkenntnissen zur Klimakrise, Anpassungsmöglichkeiten und möglichen Gegenmaßnahmen. In dieser Reihenfolge wird das wissenschaftliche Terrain politisch immer umkämpfter.

Schon in der ersten Arbeitsgruppe werden die dramatischsten Befunde im Prozess oft herausgefiltert. Dass der globale Norden unter den am IPCC beteiligten Wissenschaftler*innen und Institutionen überrepräsentiert ist, macht sich hier schon bemerkbar. Skandalös wird dieser Umstand dann in den Arbeitsgruppen 2 und 3, die politische Handlungsempfehlungen erarbeiten. Beteiligte Forscher*innen wie Yamina Saheb kritisieren, dass die computermodellierten Szenarien, die alle an einer Handvoll Rechenzentren an nördlichen Forschungsinstituten entstehen, die global extrem ungleichen Lebensverhältnisse in die Zukunft fortschreiben.

Das hängt auch damit zusammen, dass die IPCC-Szenarien ewiges Wirtschaftswachstum als gegeben voraussetzen: Der Kapitalismus erscheint hier ebenso naturgesetzlich bestimmt wie das Klimasystem. Marktbasierte Lösungsvorschläge nehmen damit eine selbstverständliche Hauptrolle ein. Ansätze, den Ressourcenkonsum zu begrenzen, gehen kaum in die Szenarien ein. So wird die Klimarettung zum Glücksspiel: Die meisten Szenarien kalkulieren ein mittelfristiges Überschreiten des Temperaturlimits ein, das über erhoffte technische Innovationen später ausgeglichen werden soll. Skeptische Zwischentöne tauchen in den Berichten durchaus auf, werden in den medialen Präsentationen aber meist zur Randnotiz.

Als gute Nachricht stellt der IPCC-Bericht heraus, dass global genügend (privates) Kapital zur Klimaschutzfinanzierung vorhanden sei. Das ist reichlich verdreht, denn es ist doch gerade dieses auf verzweifelter Suche nach Vermehrungsmöglichkeiten um den Globus zirkulierende Kapital, das keine Begrenzungen im Namen des Klimas akzeptieren kann.

So bleiben die IPCC-Berichte die wichtigste argumentative Ressource in der Klimadebatte, sie verharren aber gleichzeitig in der kapitalistischen Realität, der sie samt der Klimakrise entstammen. Die Wissensproduktion blendet die politisch-ökonomischen Gründe für die mangelnde Resonanz auf das vorliegende Wissen beharrlich aus. Dieser Wissenschaft einfach zu »folgen«, hieße in einem ewigen Kreislauf aus warnenden Berichten, weiter steigenden Emissionen und dank behutsam aufgerüsteter Adjektive noch etwas stärker warnenden Berichten steckenzubleiben. Höchste Zeit, die Klimadebatte vom Kopf auf die Füße zu stellen: Es gilt, die naturwissenschaftliche Erkenntnislage sehr ernst zu nehmen, ohne sich von »der Wissenschaft« technokratische Scheinlösungen verkaufen zu lassen.

Gegen ihre strukturelle Hilflosigkeit in der Klimakrise begehren derweil kritische Wissenschaftler*innen auf: In der internationalen »Scientist Rebellion« etwa organisieren sie Aktionen zivilen Ungehorsams. Sie mögen damit ihre berufliche Reputation aufs Spiel setzen – doch sie wollen die Konsequenzlosigkeit ihrer fachlichen Vorträge nicht mehr akzeptieren.

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