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Amnesty International kritisiert westliche Doppelmoral
Organisation stellt Jahresbericht zur globalen Lage der Menschenrechte vor
Mit den Worten »Wir brauchen Glück, Lebensfreude und wir brauchen Freiheit«, zitiert Markus N. Beeko, Generalsekretär bei Amnesty International in Deutschland, Sarina Esmailzadeh. Die junge Iranerin hatte den Satz kurz vor ihrem Tod am 23. September 2022 in einem Handy-Video aufgenommen. Sie ging auf die Straße, um gegen das Regime zu demonstrieren. »Sie war 16 Jahre alt, als Schläger der iranischen Regierung sie zu Tode prügelten«, sagt Beeko. Bei der Vorstellung des neuen Amnesty International Report zur Lage der Menschenrechte in 156 Ländern erinnert er an Sarina. Eine von vielen Protestierenden, die ihren Einsatz für die Freiheit mit dem Leben bezahlten.
Denn, so berichtet Beeko: In 85 der untersuchten Länder habe es unrechtmäßige Gewalt gegen friedlich Protestierende gegeben und in 33 Ländern gibt es laut Amnesty International Hinweise darauf, dass Protestierende rechtswidrig getötet wurden.
Trotz der Repressionen sind 2022 Millionen von Menschen für ihre Rechte auf die Straße gegangen, nicht nur im Iran. Selbst in China, wo die staatliche Überwachung allgegenwärtig sei, protestierten Ende des Jahres Menschen im ganzen Land gegen systematische Freiheitsbeschränkungen, berichtet Beeko. In Indien verbreiteten währenddessen Politiker*innen Hass und Hetze gegen religiöse Minderheiten. Polizei und Behörden nutzten Anti-Terror-Gesetze und rechtswidrige Überwachungsmethoden, um Andersdenkende einzuschüchtern.
Protest und Flucht stechen als Phänomene im Bericht besonders hervor. »2022 waren weltweit so viele Menschen auf der Flucht wie nie zuvor.« Beeko verweist unter anderem auf Rohingya-Flüchtlinge aus Myanmar, die weiterhin schutzlos und entrechtet seien. Weltweit zwängen Menschenrechtsverbrechen Menschen zur Flucht. »Zugleich fehlt es weiter an der Bereitschaft von Regierungen, schutzsuchende Menschen zu schützen.« An Europas Außengrenzen werde der internationale Flüchtlingsschutz bewusst missachtet, Flüchtende würden gewaltsam zurückgedrängt. Während Menschen bei ihrer Flucht über das Mittelmeer sterben, stünden Seenotrettende vor Gericht. Es fehle auch der Wille, Menschen – insbesondere im Globalen Süden – vor den Folgen der Covid-19-Pandemie, extremen Wetterbedingungen und Nahrungsmittelengpässen zu schützen.
In Europa habe der russische Angriffskrieg in der Ukraine die größte Fluchtbewegung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst, sagt Beeko. Positiv bewertet er, dass viele EU-Länder ukrainischen Geflüchteten schnell und unbürokratisch Schutz gewährten. »Das zeigt, was möglich ist, wenn der politische Wille vorhanden ist.« Er fordert, dass das als Blaupause für den Umgang mit Menschen aus aller Welt dienen solle.
Der Bericht enthält erstmals eine Statistik zu Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. In 20 der untersuchten Ländern, darunter Afghanistan und Äthiopien, habe Amnesty International dafür Belege gefunden, sagt Beeko. Die Entwicklungen zeigten, dass »weltweit Regierungen und politische Bewegungen an Einfluss gewinnen, die die Universalität der Menschenrechte als Grundlage der internationalen Ordnung abschaffen wollen«, sagt Beeko. Auch der Krieg Russlands gegen die Ukraine sei ein Angriff auf universelle Normen und Institutionen.
Beeko kritisiert die Doppelmoral auch europäischer Regierungen, die Augen zuzudrücken, wenn es um ihre eigenen Interessen geht – zum Beispiel, was Menschenrechtsverletzungen in China, Ägypten und Saudi-Arabien betrifft. »Wer glaubwürdig für die Menschenrechte eintreten will, darf nicht mit zweierlei Maß messen.«
In Bezug auf Deutschland verweist Beeko auf eine Zunahme von Straftaten im Zusammenhang mit Antisemitismus, sexueller Orientierung, Geschlecht und Behinderung. Zur menschenrechtlichen Verantwortung Deutschlands gehöre es, vor Hasskriminalität zu schützen, fordert er. Mit Blick auf die weltweit zunehmende Gewalt gegen Protestierende verweist er auf das hohe Gut der Versammlungsfreiheit. Besorgniserregend sei, dass immer mehr Bundesländer repressive Versammlungsgesetze erließen und Befugnisse der Polizei ausweiteten.
Eine zentrale Forderung von Amnesty International ist, Menschen zu unterstützen, die für ihre Freiheit auf die Straße gehen. Teil dessen sei, den Verkauf und Export von biometrischen Überwachungstechnologien zu verbieten, die beispielsweise im Iran oder Russland eingesetzt würden, um Protestierende aufzuspüren.
Einen Einblick in die Situation im Iran gibt Mariam Claren. Ihre Mutter, die iranisch-deutsche Frauenrechtlerin Nahid Taghavi, wurde im Oktober 2020 festgenommen und zu zehn Jahren Haft verurteilt. »Zuvor verbrachte sie sieben Monate in Isolationshaft und wurde vom Geheimdienst der islamischen Revolutionsgarde mehr als tausend Stunden ohne Rechtsbeistand verhört«, sagt Claren. Außerdem sei sie weißen Foltermethoden ausgesetzt worden, die vor allem auf die Psyche zielen. Im Iran wurden nach Schätzungen von Amnesty International 22 000 Menschen willkürlich verhaftet und viele von ihnen im Gefängnis misshandelt und gefoltert.
Auslöser der aktuellen Protestwelle war der Tod der jungen Iranerin Jina Mahsa Amini, die im September 2022 mit dem Vorwurf festgenommen worden war, sie habe ihr Kopftuch nicht korrekt getragen. »Der Tod von Jina war wie ein Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat«, sagt Claren. Neu sei, dass nun das im ganzen Land Menschen aus unterschiedlichen Altersgruppen und Gesellschaftsschichten protestieren. »Was sich im Iran ereignet, geht über eine klassische Protestwelle hinaus.«
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