Besuch von Annalena Baerbock: Georgien zwischen den Fronten

Jörg Kronauer über den westlichen Einfluss in Georgien

  • Jörg Kronauer
  • Lesedauer: 3 Min.

Einige hatten sie schon mit den Maidan-Protesten Ende 2013 in der Ukraine verglichen: die Massendemonstrationen, die Anfang des Monats Georgien international in die Schlagzeilen brachten. Bilder, auf denen Menschen in der georgischen Hauptstadt Tiflis EU-Fahnen in die Höhe recken, gingen um die Welt. Zwar sind die Proteste inzwischen abgeflaut. Dennoch traf Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) am Freitag auf ihrem Kurztrip nach Georgien mit Aktivist*innen zusammen, die vor wenig mehr als zwei Wochen noch protestierend auf die Straße gegangen waren. »Sehr beeindruckt« sei sie von den Demonstrationen gewesen, lobte Baerbock in Tiflis. Das war nichts anderes als ein kaum verklausuliertes »Weiter so«.

Worum ging es der Außenministerin in Georgien? Im Kern um das, was die deutsche Politik zur Zeit fast überall antreibt: Russlands Einfluss zurückzudrängen. In Georgien ist dieses Bestreben nicht neu; es hat eine lange Geschichte.

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Am stärksten war das bislang wohl Ende 2003 der Fall, als breite Proteste den auf einen relativen Ausgleich zwischen West und Ost bedachten Präsidenten Eduard Schewardnadse stürzten und, mit transatlantischer Schützenhilfe, den prowestlichen Hardliner Micheil Saakaschwili an die Macht brachten. Die Nato nutzte Saakaschwilis Amtszeit, um Georgien im April 2008 die formelle Beitrittsperspektive zu eröffnen. Seitdem hat sie ihre Zusammenarbeit mit dem Land systematisch ausgebaut. Sie hat Maßnahmen eingeleitet, um die georgischen Streitkräfte an Nato-Standards anzupassen.

Moskau hat die Nato-Präsenz dort stets als Bedrohung begriffen, ähnlich der Annäherung der Ukraine an das Militärbündnis. Auch in Georgien ist so manchem nicht wohl bei dem Gedanken gewesen, im Machtkampf zwischen West und Ost zwischen die Fronten geraten zu können. Das hat dazu beigetragen, dass in den Parlaments- bzw. den Präsidentenwahlen 2012 und 2013 die Partei Georgischer Traum an die Macht gewählt wurde, die auf eine Normalisierung der Beziehungen zu Russland orientiert ist, um eine hochgefährliche Eskalation der Lage zu verhindern.

Gute Beziehungen zu Russland wünschten einer Umfrage zufolge sogar in der hochpolarisierten Stimmung im August vergangenen Jahres immer noch 40 Prozent der Bevölkerung. Zugleich sprachen sich 75 Prozent dafür aus, auf einen Beitritt zur EU hinzuarbeiten. Entsprechend laviert Tiflis, wobei sich in jüngster Zeit die Anzeichen mehren, dass der Georgische Traum dem Westen zumindest Grenzen setzen will. So hat er gesetzlich versucht festzulegen, dass Organisationen, die zu mehr als einem Fünftel aus dem Ausland finanziert werden, sich als »ausländische Agenten« einstufen lassen müssen. Die jüngsten Massenproteste konnten das Gesetz verhindern.

Berlin versucht nun, die gesellschaftliche Dynamik, die die Proteste mit sich gebracht haben, zu nutzen. Im Juni 2022 hat die EU Georgien zum potenziellen Beitrittskandidaten erklärt. Die Regierung solle die letzten Hindernisse für den tatsächlichen Kandidatenstatus aus dem Wege räumen, forderte Baerbock am Freitag in Tiflis und wies auf die Massendemonstrationen zu Monatsbeginn hin: Ist da nicht vielleicht, fragen sich manche, eine Neuauflage der sogenannten Farbenrevolutionen drin? Und wenn es dafür nicht reichen sollte: 2024 stehen in Georgien Parlamentswahlen an. Vielleicht lässt sich der Georgische Traum ja dann entmachten. Berlin hat sich jedenfalls schon mal offen auf die Seite der EU-orientierten Opposition gestellt.

Täten andere Staaten derlei in Deutschland, das Geschrei über fremde Einmischung wäre groß. Davon abgesehen: Wie die Spannungen eskalieren könnten, käme in Tiflis eine Partei ans Ruder, die auf Konfrontationskurs zu Moskau ginge, kann man sich ausmalen. Den Machtinteressen des Westens wäre damit gedient, einer Entschärfung der Konflikte aber nicht.

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