Sicherzeitszone für Saporischschja

IAEO-Chef Rafael Grossi wirbt in der Ukraine und Russland für seine Pläne

  • Bernhard Clasen, Kiew
  • Lesedauer: 4 Min.

Er redet mit beiden Seiten: der Chef der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) Rafael Grossi. Das ukrainische Portal lb.ua berichtete am Freitag, dass Grossi sich nach seinem Besuch in der Ukraine nun bald nach Russland aufmachen will, um auch dort seinen Plan einer Sicherheitszone um das Atomkraftwerk Saporischschja den Verantwortlichen schmackhaft zu machen.

Am Mittwoch hatte Grossi mit einem Team von IAEO-Experten das Kraftwerk in Energodar besucht. Dieses ist seit dem russischen Angriff auf das AKW am 4. März 2022 in Händen des russischen Militärs.

Dies war bereits der zweite Besuch von Grossi in dem AKW. Und wie auch bei seinem vergangenen Besuch hatte er eine Gruppe von Expert*innen mitgebracht, die zur Dauerpräsenz der IAEO auf dem Gelände gehören und eine Gruppe von IAEO-Experten ablösten. Die neue Gruppe soll zwei Monate auf dem Gelände bleiben.

Insgesamt sieht Grossi »angesichts einer zunehmenden militärischen Aktivität in der Region« eine Verschlechterung der Sicherheitslage um das Kraftwerk. Man spreche, so zitiert das Portal der IAEO Grossi, offen von Offensiven und Gegenoffensiven. Dem Gebiet um das Kraftwerk stehe möglicherweise eine gefährlichere Phase des Konfliktes bevor.

Die »New York Times« zitierte in der vergangenen Woche ukrainische Offizielle, die eine ukrainische Offensive auf die Stadt Melitopol für möglich halten. Melitopol wird aktuell von russischen Truppen kontrolliert und liegt 90 Kilometer südöstlich von Energodar.

Gegenüber »nd« warnte Olena Schuk, Chefin der Bezirksverwaltung von Saporischschja, vor einer Verharmlosung der Gefahren der Lage um das AKW. »Wenn das AKW getroffen wird, ist die radioaktive Wolke in einer halben Stunde in Saporischschja und in drei Stunden in Europa.« Natürlich verstünden die Leute von Rosatom, die derzeit auf dem Gelände des AKW seien, etwas von Atomenergie. Aber jeder Reaktor habe auch seine Eigenheiten. »Und die kennen sie nicht.«

Auch das Personal des AKW steht unter großem Stress. Es herrscht Personalmangel. Viele Mitarbeiter sind geflohen. Wer mit Rosatom keinen Arbeitsvertrag abschließen will, muss damit rechnen, dass ihm der Zugang zu seinem Arbeitsplatz verweigert wird. Wer aber einen Vertrag mit den russischen Besatzern unterschreibt, muss damit rechnen, dass er ein Fall für die ukrainische Staatsanwaltschaft ist. Auf ihrem Telegram-Kanal bitte die ukrainische Atomenergiebehörde Energoatom ihre Mitarbeiter, sie über Mitarbeiter*innen zu informieren, die mit der von Russland eingesetzten Betreiberfirma einen Vertrag geschlossen hätten. Man werde diese Informationen, so Energoatom, an die Strafverfolgungsbehörden weitergeben.

Der Besuch von Grossi habe erneut gezeigt, dass die IAEO nichts Effektives in der Frage der Besatzung des Kraftwerks habe unternehmen können, zitiert die Nachrichtenagentur unian.ua den Berater des Chefs der Präsidialverwaltung, Michajlo Podoljak. Ein halbes Jahr schon versuche die IAEO eine Sicherheitszone um das AKW zu schaffen, so Podoljak. Und dabei habe sie es immer noch nicht geschafft, das AKW wieder unter die legitime Kontrolle durch die Ukraine zu bringen.

Positiver wertet indes Oleg Korikow von der Staatlichen Atomregulierungsbehörde den Besuch von Grossi. »Wir sind sehr daran interessiert, dass die IAEO-Mission fortgesetzt wird«, zitiert interfax.com.ua Korikow. Man müsse zum einen sehen, so Korikow, dass die IAEO-Mission auf Einladung der Ukraine durchgeführt werde. Außerdem erhalte die ukrainische Seite so Daten über den Zustand der Ausrüstung und Systeme, so Korikow, der betonte, dass die IAEO zu den von der Ukraine formulierten Bedingungen auf dem AKW-Gelände präsent sei. Man sei sich einig mit Grossi, dass die IAEO-Mission solange wie nötig auf dem AKW-Gelände verbleiben solle.

Auch in Deutschland stößt die anhaltende Zusammenarbeit mit Rosatom auf Kritik. Am 15. April werden Umweltgruppen wie der BBU, BUND, AG Schacht Konrad und SoFa Münster vor der Brennelementefabrik in Lingen im Emsland demonstrieren. Ein großer Teil des dort benötigten Urans komme aus Russland, kritisieren die Umweltschützer. Und damit gebe man Putin noch mehr Geld für die Finanzierung seines Kriegs gegen die Ukraine, so der Demonstrationsaufruf.

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