Meloni und die Geschichtsfälscher

Die ultrarechte italienische Regierung scheut vor Lügen nicht zurück

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 4 Min.
Gedenken an die 1944 von der Wehrmacht in den Ardeatinischen Höhlen ermordeten Partisanen in Rom – Regierungschefin Meloni blieb fern.
Gedenken an die 1944 von der Wehrmacht in den Ardeatinischen Höhlen ermordeten Partisanen in Rom – Regierungschefin Meloni blieb fern.

Vor rund 80 Jahren, genauer gesagt am 24. März 1944, fand eines der größten Verbrechen statt, das Italien unter der nazi-deutschen Besatzung erlebt hat: Das Massaker in den Ardeatinischen Höhlen in Rom, bei dem Soldaten der Wehrmacht 335 Männer als Geiseln erschossen. Dieses Ereignis ist tief im kollektiven Gedächtnis eingebrannt. Jedes Jahr legen die Honoratioren der Stadt und des Landes Kränze an dem Gedenkort nieder, wo die Särge der Opfer aufgebahrt sind.

Auch dieses Jahr war das wieder so – allerdings fehlten zum ersten Mal Vertreter der Regierung. Ministerpräsident Giorgia Meloni (Frau Meloni, die erste Frau in diesem Amt, will, dass man sie mit dem »männlichen« Titel anspricht!) übermittelte aber eine Art Grußbotschaft. Darin verurteilte sie das Massaker, bei dem »so viele Menschen ums Leben kamen, aus dem einzigen Grund, weil sie Italiener waren«.

Wie bitte? Ja genau, die Geiseln, die als Repressalie für eine Aktion einer römischen Partisaneneinheit erschossen wurden, starben nicht, weil sie Antifaschisten, Juden oder Kommunisten waren, sondern für Giorgia Meloni allein aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit! So sieht das zumindest »der« Ministerpräsident, wobei es ihm/ihr scheinbar unbekannt oder egal ist, dass sich unter den Opfern auch einige »Nicht-Italiener« befanden, darunter auch ein gewisser Paul Pesach, der 1921 in Berlin geboren wurde. Aber das passt offensichtlich nicht in das nationalistische Weltbild dieser Regierung.

Die Geschichtsfälschung geht noch weiter. Alessandro Sallusti, Journalist und verantwortlicher Chefredakteur der ultrakonservativen Mailänder Zeitung »Libero«, schrieb am Tag darauf einen Leitartikel, in dem er die Partisanen selbst für den Massenmord verantwortlich macht. Er wiederholt eine Lüge, die schon wenige Tage nach dem Massaker von den Faschisten und Nazis verbreitet wurde: Die deutsche Besatzungsmacht soll die verantwortlichen Partisanen aufgefordert haben, sich zu stellen, um die Repressalie zu verhindern und da die Widerstandskämpfer zu feige gewesen seien, um sich zu stellen, hätten sie die 335 Menschen selbst auf dem Gewissen. »Das ist absoluter Quatsch«, sagt Frau Dr. Lalla di Cerbo, eine Historikerin, die im Widerstandsmuseum in Rom arbeitet. »Dazu wäre auch gar keine Zeit gewesen, da die Erschießungen schon 24 Stunden nach dem Attentat stattfanden. Es gab bewiesenermaßen keine Bekanntmachungen. Und bei einem der vielen Prozesse, die nach dem Krieg stattfanden, erklärte Generalfeldmarschall Albert Kesselring, der südlich von Rom stationiert war, dass so ein Ultimatum ›eine gute Idee‹ gewesen wäre. Und weiter: ›Aber wir sind leider nicht drauf gekommen.‹«

Es kommt noch »besser«. Ignazio La Russa ist Senatspräsident und hat damit das zweithöchste Amt in Italien inne. International bekannt wurde er, als er kurz nach seiner Wahl erklärte, dass er zu Hause einige Memorabilien des faschistischen Diktators Benito Mussolini stehen habe. Dass dies kein Zufall ist, beweisen seine Äußerungen zum Jahrestag der Fosse Ardeatine. Die Aktion der Partisanen sei wirklich »kein Ruhmesblatt« des italienischen Widerstands gewesen, urteilte er. Denn deren Ziel »seien keine grausamen und blutrünstigen Nazis gewesen, sondern eine Art Rentner-Combo« …

Frau Dr. Di Cerbo will sich dazu eigentlich nicht äußern. »Das ist mir zu blöde! Nur soviel: Die Getöteten gehörten zum Polizei-Regiment Bozen. Ihr Durchschnittsalter war 33 Jahre! Und wenn sie tatsächlich musizierten, dann höchstens mit ihren Gewehren, Granaten und Maschinenpistolen!«

Auf all das war das Echo in Italien groß. Es protestierten nicht nur die Oppositionsparteien (sie fordern den Rücktritt von La Russa) sondern auch Vertreter der Jüdischen Gemeinde und des Partisanenverbandes ANPI.

Der Senatspräsident fühlt sich böswillig missverstanden, dass die Soldaten Nazis gewesen seien, wäre doch offensichtlich, hat er erklärt. Falls sich jemand beleidigt gefühlt habe, tue ihm das leid. Er werde sich in der Zukunft auf jeden Fall nicht mehr zu »geschichtlichen Ereignissen« äußern!

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