Lkw-Fahrer-Streik in Gräfenhausen: Bis alle ausgezahlt sind

Streik von Lkw-Fahrern bei Darmstadt zeigt erste Erfolge: Einige Löhne wurden überwiesen

  • Nelli Tügel
  • Lesedauer: 4 Min.

Es bewegt sich etwas auf der Raststätte Gräfenhausen West bei Darmstadt. Noch sind es nicht die dort seit vier Wochen geparkten Lkw, die mehr als 60 Fahrer aus Georgien und Usbekistan festgesetzt haben, weil der polnische Fuhrunternehmer Lukasz Mazur ihnen Löhne in Höhe von jeweils mehreren Tausend Euro schuldet. Aber auf den Konten der Streikenden hat sich nach langem Stillstand etwas getan: Seit Ende vergangener Woche sind bei einigen die ersten ausstehenden Zahlungen eingetroffen.

Eine Woche zuvor, am Karfreitag, hatte Mazur noch versucht, mithilfe einer paramiltärischen Schlägertruppe aus Polen, der »Rutkowski Patrol«, den Streikenden die Lkw mit Gewalt abspenstig zu machen. Ohne Erfolg: Mazur und die Mitglieder der »Rutkowski Patrol« wurden auf der Raststätte festgenommen und dürfen diese seither nicht mehr betreten. Am vergangenen Donnerstag dann hatte die Staatsanwaltschaft Darmstadt mitgeteilt, Mazur habe über seinen Anwalt Anzeige wegen der mutmaßlichen Unterschlagung von 39 Lkw erstattet.

Doch der Druck scheint gewirkt zu haben. Noch haben nicht alle Fahrer alles bekommen, die Verhandlungen mit Mazur dauern an. Deshalb wird auch der Streik fortgesetzt, die Lkw bleiben stehen. Man werde den Protest erst beenden, wenn alle Forderungen beglichen seien, das haben die Fahrer in den vergangenen Tagen immer wieder betont, auch weil sie bereits einige Erfahrungen mit falschen Versprechungen des Unternehmers gesammelt haben, der sich nach wie vor öffentlich nicht dazu bekennen will, Fehler gemacht zu haben. »Sie haben die Aktion gemeinsam begonnen und werden sie gemeinsam beenden, wenn alle ausgezahlt worden sind«, erklärte auch das Beratungsnetzwerk Faire Mobilität des Deutschen Gewerkschaftsbundes am Dienstag. Die Mitarbeiter*innen von Faire Mobilität unterstützen die streikenden Lkw-Fahrer, gemeinsam mit der niederländischen Gewerkschaft FNV, aus deren Reihen Edwin Atema stammt, ein ehemaliger Trucker, den die Streikenden als ihren Verhandlungsführer bestimmt haben.

Nach den Ereignissen vom Karfreitag ist indes der Kreis derer, die sich für die Streikenden einsetzen, weiter gewachsen. Aus Südkorea und von den Philippinen haben sich Fahrer mit Grußbotschaften gemeldet, in Polen protestierten am letzten Freitag Aktive der syndikalistischen Gewerkschaft OZZ Inicjatywa Pracownicza in Warschau gegen die Rutkowski-Schläger und Mazur. Vertreter*innen des georgischen Gewerkschaftsbundes GTUC waren in Gräfenhausen. Auch die Solidarität aus der Region ist groß: Ununterbrochen würden Spenden und Lebensmittel vorbeigebracht. Ehrenamtliche Gewerkschafter haben ein Duschtaxi und Wlan eingerichtet, vergangenen Mittwoch war der Sozialmediziner Gerhard Trabert vor Ort und hielt eine Sprechstunde für die Fahrer ab.

Am Montag dann besuchte eine Delegation des Europäischen Parlaments die Streikenden, darunter die Abgeordnete Gabriele Bischoff (SPD). Tags darauf waren die Zustände im europäischen Straßentransport Thema in Straßburg. Dort forderten Abgeordnete unter anderem stärkere Kontrollen, denn viele EU-Regeln werden in der Branche routiniert unterlaufen. Die Fahrer in Gräfenhausen etwa sind teilweise schon seit mehr als einem Jahr ununterbrochen in Westeuropa unterwegs, ohne dabei je außerhalb ihrer Fahrerkabine zu übernachten – laut EU-Regeln ist das nicht erlaubt. Auch die Lenk- und Ruhezeiten werden oft nicht eingehalten. Und von dem bei Fahrten durch Deutschland zustehenden gesetzlichen Mindestlohn ist der Tagessatz von 80 bis 85 Euro, der den Truckern aus Georgien und Usbekistan versprochen wurde, weit entfernt, zumal davon noch Spesen und häufig auch undurchsichtige Reparaturkosten abgezogen werden. Ob Kontrollen allein diesen Zuständen Abhilfe schaffen, ist fraglich: Im europäischen Straßentransport ist weit verbreitet, dass große westeuropäische Speditionen und Firmen – darunter DHL, Ikea und VW – osteuropäische Subfuhrunternehmen beauftragen, die wiederum Fahrer aus Drittstaaten anheuern und diese, wie im Fall der Mazur-Trucker, als Scheinselbstständige ausbeuten.

Die Auftraggeber müssten stärker in die Verantwortung genommen werden, fordert daher Faire Mobilität. Die Fahrer hatten sich, an diese Verantwortung appellierend, schon am Gründonnerstag mit einem offenen Brief an einige der westeuropäischen Speditionen gewandt, die mit Mazur zusammenarbeiten: Sennder und Lkw-Walter erklärten daraufhin, die Zusammenarbeit einzustellen. Auch das ist sicherlich einer der Gründe dafür, dass Mazur sich inzwischen doch bewegt und damit begonnen hat zu zahlen. Ob sich auch die blauen Lkw in Gräfenhausen bald wieder bewegen, hängt davon ab, ob wirklich alle ihren Lohn erhalten.

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