ELN-Guerilla in Kolumbien: Dritte Runde für den Frieden

Kolumbien und ELN-Guerilla nehmen in Havanna Dialog wieder auf

  • Andreas Knobloch, Havanna
  • Lesedauer: 4 Min.

Die dritte Runde der Friedensverhandlungen zwischen der kolumbianischen Regierung und der Guerilla der Nationalen Befreiungsarmee (ELN) begann mit einer kleinen Überraschung: ELN-Kommandant Nicolás Rodríguez Bautista alias Gabino sitzt mit am Tisch. Er ist eines der einflussreichsten Mitglieder der Guerillagruppe und war viele Jahre deren oberster Kommandant, bis er seine Funktionen im Sommer 2021 aufgab.

Gabino befindet sich seit 2018 in Kuba und hat sich dort medizinisch behandeln lassen. Sein Zustand wurde vertraulich behandelt. Nach einem Bombenattentat der ELN auf eine Polizeischule in Bogotá Anfang 2019 mit 22 Toten, für das er von der damaligen rechten kolumbianischen Regierung Iván Duque mitverantwortlich gemacht wurde und das zum Abbruch der damals laufenden ersten Friedensgespräche führte, beantragte Bogotá seine Auslieferung.

Der Chefunterhändler der kolumbianischen Regierung bei den wiederaufgenommenen Friedensgesprächen, Otty Patiño, der wie Kolumbiens linker Präsident Gustavo Petro in seiner Jugend der M-19-Guerilla angehörte, bezeichnete die Teilnahme Gabinos als »gute Nachricht«. »Wir glauben, dass Gabino, auch wenn er nicht mehr der ELN-Kommandant ist, ein Mann ist, der ein Symbol für die Einheit der ELN ist und somit eine Garantie dafür, dass wir mit ihm viel schneller vorankommen können als ohne ihn«, sagte Patiño.

Am ersten Verhandlungstag in Havanna mahnte Patiño beide Seiten zu einem »vorübergehenden Waffenstillstand mit dem Ziel, diesen zu verlängern und zu vertiefen«. Ein solcher bilateraler Waffenstillstand wäre ein Erfolg. Er ist eines der zentralen Themen der Gespräche, die während des gesamten Monats Mai in der kubanischen Hauptstadt stattfinden werden. Zudem soll über die Frage der humanitären Hilfe und die Beteiligung der Zivilgesellschaft an dem Prozess verhandelt werden. Nach der ersten Verhandlungsrunde im November/Dezember in Venezuela hatte Kolumbiens Regierung einen bilateralen Waffenstillstand zum Jahresende angekündigt, der nicht mit der Guerilla vereinbart war und prompt von der ELN dementiert wurde. Dies hatte zu einer ernsthaften Krise der Gespräche geführt.

Kolumbiens Präsident Gustavo Petro, der gerade zum Staatsbesuch in Madrid weilt, legte dort seinerseits einen neuen Vorschlag vor, um die Verhandlungen voranzubringen. Er brachte die Idee einer »Regionalisierung der Waffenstillstände« ins Spiel, um Vertrauen aufzubauen. Später könnten diese Waffenstillstände auf das gesamte Staatsgebiet ausgeweitet werden. »Man kann also mit regionalen Waffenstillständen beginnen, und wenn die Zeit vergeht und das Vertrauen wächst, kann man darüber nachdenken, sie auf das gesamte Gebiet auszuweiten«, sagte er.

Der Chefunterhändler der ELN, Israel Ramírez alias Pablo Beltrán, erklärte, dass seine Organisation »voll und ganz gewillt und verpflichtet ist«, das zu erreichen, was man sich in der zweiten Verhandlungsrunde im März in Mexiko vorgenommen habe: »einen Waffenstillstand und die Beteiligung der Gesellschaft«. Er betonte: »Wir sind beharrlich und hartnäckig: Ein seriöser Dialogprozess beinhaltet notwendigerweise die Beteiligung der Gesellschaft, vor allem derjenigen, die nie ein Mitspracherecht oder die Möglichkeit hatten, über die Geschicke des Landes zu entscheiden.« Deshalb müsse der Partizipationsprozess parallel zu den Vereinbarungen über einen echten Waffenstillstand verlaufen, in dem klar festgelegt wird, was die Parteien des bewaffneten Konflikts tun können und was nicht.

Die ELN ist die letzte aktive Guerillagruppe unter Waffen in Kolumbien. Sie entstand 1964, inspiriert durch die kubanische Revolution. Mehrere ihrer Gründer wurden auf der Karibikinsel ausgebildet. Die ELN verfügt heute über rund 2350 Kämpfer und ist im Grenzgebiet zu Venezuela im Nordosten Kolumbiens sowie im Westen des Landes nahe der Pazifikküste präsent und in den vergangenen Jahren militärisch wieder erstarkt.

Nach den ersten beiden Verhandlungsrunden in Venezuela und Mexiko, denen die kolumbianische Regierung Petro mit der Aufhebung der Auslieferungsersuchen gegen Mitglieder der ELN-Delegation den Weg geebnet hatte, kehren die Friedensgespräche nun für die dritte Runde also nach Kuba zurück. In Havanna fanden bereits die Verhandlungen statt, die zum Friedensabkommen mit der inzwischen aufgelösten FARC führten. Kubas Hauptstadt war auch Ort erster Friedensgespräche mit der ELN, ehe diese nach dem verheerenden Bombenanschlag von der kolumbianischen Regierung abgebrochen wurden.

Neben Kuba sind Norwegen, Venezuela, Brasilien, Chile und Mexiko Bürgschaftsländer der Verhandlungen. Deutschland fungiert als Begleitstaat. Die deutsche Botschafterin in Bogotá, Marian Schuegraf, vertritt Deutschland in den entsprechenden Formaten. Mitte April war die Entscheidung der Bundesregierung bekannt geworden, den Posten des deutschen Sonderbeauftragten für den kolumbianischen Friedensprozess, den der Grünen-Politiker Tom Koenigs innehatte, nicht nachzubesetzen. Bei der Opposition sorgte das für Kritik.

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