Sachar Prilepin: Anschlag auf die Hassfigur

Der kremlnahe Schriftsteller Sachar Prilepin wurde durch eine Autobombe schwer verletzt

  • Ewgeniy Kasakow
  • Lesedauer: 4 Min.
Sachar Prilepin ist einer der erfolgreichsten Schriftsteller in Russland und wegen seiner Regierungsnähe bei der Opposition verhasst.
Sachar Prilepin ist einer der erfolgreichsten Schriftsteller in Russland und wegen seiner Regierungsnähe bei der Opposition verhasst.

Vorerst hat er den Anschlag überlebt, obwohl sein Zustand kritisch bleibt: Jewgeni Prilepin, besser bekannt unter dem selbstgewählten Vornamen »Sachar«. Er ist einer der bekanntesten »Z-Propagandisten«, einer der erfolgreichsten Schriftsteller Russlands und einer der verhasstesten Figuren für die Opposition. Am 6. Mai explodierte der Audi Q7, mit dem Prilepin auf dem Rückweg vom Donbass war, in der Nähe von Nischnij Nowgorod. Sein Fahrer und Leibwächter war auf der Stelle tot, Prilepin wurde schwer verletzt mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus gebracht.

Noch am selbem Tag nahm die Polizei Alexander Permjakow fest. Er gestand inzwischen seine Beteiligung an der Tat. Der in der Ukraine geborene Tatverdächtige soll bereits mehrmals wegen Raub und Rowdytum vorbestraft sein, zudem seit 2015 an der Seite der Volksrepublik Donezk als Freiwilliger gedient haben. Im vergangenen Jahr wurde er laut den Berichten russischer Staatsmedien in Russland eingebürgert.

Dubiose Gruppen übernehmen für Anschlag Verantwortung

Doch die Frage nach den möglichen Hintermännern bleibt offen. Bisher haben zwei Gruppierungen die Verantwortung übernommen. Eine ist die Nationale Republikanische Armee (NRA), deren Existenz bisher nur auf den Erzählungen des Exilpolitikers Ilja Ponomarjew beruht. Obwohl die NRA sich schon im August 2022 zum Mord an Darja Dugina bekannte, zweifeln viele Beobachter ihre Existenz weiterhin an. Der andere Anwärter auf den Titel »Drahtzieher« ist die Gruppe »Atesch« (krimtatarisch für »Flamme«), die seit Herbst 2022 agiert.

Sachar Prilepin wurde 1975 bei Rjasan geboren. Er studierte Jura an der Hochschule des Innenministeriums und diente bei der Milizspezialeinheit Omon. Wegen eines Einsatzes im Ersten Tschetschenienkrieg (1994-1996) unterbrach er sein Studium. 1999 machte er einen Abschluss in Philologie an der Universität Nischnij Nowgorod und quittierte den Dienst, um sich ganz der Literatur und Politik zu widmen. Als Anhänger der Nationalbolschewistischen Partei (NBP) des Schriftstellers Eduard Limonow wird der ehemalige Polizist Teil der radikalen, bisweilen militanten Opposition.

Bücher erinnern an Freikorps-Literatur

Limonow, dessen Partei 2005 auf Gerichtsbeschluss hin verboten wird, aber unter dem neuen Namen »Anderes Russland« weiter agiert, predigt die Synthese von Links- und Rechtsradikalismus. Limonow selbst pflegt das Image eines Krieger-Künstlers. Der in seine Fußstapfen tretende Prilepin stellt ihn jedoch schon bald als erfolgreicher Autor in den Schatten. Im Gegensatz zu Limonow kann er schließlich reale Kriegserfahrungen vorweisen. Seine Bücher, die im Stil, Sujet und der ideologischen Botschaft an die von Klaus Theweleit in seiner Studie »Männerphantasien« untersuchte Freikorps-Literatur erinnern, finden in Putins Russland reißenden Absatz.

Mehrmals versuchen die Nationalbolschewisten, sich mit der linken und liberalen Opposition auf ein Bündnis gegen Putin zu einigen. 2007 verständigte sich Prilepin mit dem politischen Newcomer Alexej Nawalnyj und dem bekannten Kriegskorrespondenten Sergej Guljaew auf die Gründung der Nationalen Russischen Befreiungsbewegung »Narod«. Gefordert wurden die Demokratisierung, die Begrenzung der Einwanderung, die Anerkennung von Abchasien, Süd-Ossetien und Transnistrien und die Rücknahme der Privatisierungen der 90er Jahre. Als Hauptaufgabe des Staates wurde der Schutz der »Russischen Zivilisation« vor dem »Degenerationsprozess« bezeichnet. Die neue Organisation zerfiel schon bald nach der Gründung, ohne nennenswerte Aktivitäten zu entwickeln.

Prilepin zog freiwillig in den Krieg

Während der Ereignisse in der Ukraine 2014 versöhnte sich Prilepin prompt mit dem Kreml und reiste selbst als Freiwilliger in den Donbass. Inwieweit er tatsächlich an Kampfhandlungen teilnahm oder ob es eine PR-Aktion war, bleibt bis heute umstritten. Seitdem ist Prilepin eines der Gesichter der »linkspatriotischen« Fraktion der Putin-Anhänger. Er bekam eine eigene Sendung, »Russischunterricht« beim Fernsehsender NTV, später gründete er die Bewegung »Für die Wahrheit« und vereinigte diese mit der Partei »Gerechtes Russland«, deren Führung er bis heute angehört. Anfang 2023 zog er wieder als Freiwilliger in den Krieg.

Prilepin sieht sich als überzeugten Linken und verteidigt die Idee von Russland als Vielvölker-Imperium gegenüber Ethnonationalisten, die »Russland für Russen« fordern. Die Sowjetunion ist für ihn der Höhepunkt der russischen Geschichte, das orthodoxe Christentum steht seines Erachtens für Solidarität und Kollektivismus, die gegen liberale westliche Werte verteidigt gehören. Und Prilepin glaubt, dass die Intensivierung des Konfliktes mit dem Westen eine »linke Wendung« in der Politik des Kremls bewirken werde. Eine Wendung, die Enteignung von Oligarchen, Verdrängung prowestlich-liberaler Eliten aus Wirtschaft und Kultur und schließlich die Mobilmachung der ganzen Gesellschaft für den Sieg nach dem Vorbild des Großen Vaterländischen Krieges bedeutet. Dabei trägt die Mobilmachung, die an den Sieg über den Faschismus anknüpft, in Prilepins Weltbild unverkennbar faschistoide Züge.

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