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Serie »Der Pass«: Krimifreakshow
Die ästhetisch herausragende Thriller-Kost »Der Pass« wartet mit einer dritten und letzten Staffel auf. Unter neuer Regie gerät die Ritualmördersuche im Grenzgebiet jedoch ein bisschen selbstverliebt
Wenn ein Museum mal Kleidungsstücke deutschsprachiger Film- und Fernsehfiguren ausstellt, hingen vor allem Polizeifummel im Schrank. Zwischen der Feldjacke von Horst Schimanski und Stephan Derricks Trenchcoat, dem Wildleder-Blouson von Josef Matula und Peter Fabers Parka also auch der pelzbesetzte Kaschmirmantel, in dem Inspektor Gedeon Winter in »Der Pass« seit 2019 Serientäter jagt – und parallel die Geister in seinem Kopf.
Nach zwei Staffeln »Der Pass« panzert sich Nicholas Ofczarek nun letztmalig mit dem Luden-Gewand und bekommt es über acht Folgen mit einem ähnlichen Duett fremder plus eigener Dämonen der ersten 16 Teile zu tun. Alles wie immer also, wenn Sky sein Thriller-Juwel auf Sendung schickt: Eindrucksvoll gefilmt, wälzt sich Winter eher gegen als mit Kollegin Ellie Stocker (Julia Jentsch) durchs deutsch-österreichische Grenzgebiet, um dort einen Ritualkiller ausfindig zu machen.
Wobei das Finale thematisch abermals am Rest einer Serie andockt, deren Einzelteile für sich stehen und doch fließend ineinander übergehen. Die Unternehmer-Sippe Gössen, deren Sprössling Alexander in den Folgen 9 bis 16 den Trieb zur Verwechslung menschlichen und tierischen Freiwilds bestialisch ausgelebt hatte, baut die geplanten Luxus-Chalets im Naturschutzgebiet nun weiter, was wiederum mit einer Reihe rätselhafter Todesfälle im Waldgebiet zusammenhängt.
Psychisch vernarbt vom Tod ihrer Kollegin Yela, wird Kommissarin Ellie Stocker also erneut Teil einer Sonderkommission, zu der ihr seelisch ruinierter Freundesfeind Winter stößt. Und deren Aufeinandertreffen nach Monaten völliger Funkstille sagt viel aus über die Fortsetzung der Serie durch Christopher Schier, den die Showrunner Quirin Berg und Max Wiedemann mit Buch und Regie beauftragt haben. »Servus Ellie«, grüßt Winter am Ende der zweiten Episode durch das düstere Treppenhaus Richtung Erdgeschoss, wo Stocker nach einer Ewigkeit »Hallo Gedeon« antwortet, bevor uns der Abspann von dieser bedrückenden Szene erlöst.
Selbst Floskeln werden hier ausgetauscht, als seien es Shakespeare-Duelle. Überhaupt wirkt auch beim letzten Anlauf nichts bedeutungslos, niemals! Was zuvor jedoch nur selten störte, weil das Regie-Autorenduo Philipp Stennert und Cyrill Boss die Melodramatik mit faszinierender Abgründigkeit aller Beteiligten abgefedert hat, gerät bei Schier zum pausenlosen Zitat, so als müsste sich »Der Pass« ständig beweisen, dass »Der Pass« wirklich »Der Pass« bleibt, was er ja auch ist, weil »Der Pass« gar nichts anderes mehr sein will als »Der Pass« – auch wenn er jetzt erstmals im Sommer spielt, also Sonnenlichtmomente erlebt.
Erleben könnte! Denn auch im Endspiel herrscht trübe Sicht. Wenn Thomas W. Kiennasts Kamera durch neblige Berglandschaften kriecht (und schneller wird sie fast nie), ist es grundsätzlich so dunkel wie in Winters Seele, die sein autoaggressiver Weltschmerz mittlerweile so zerfressen hat, dass sie nur noch mit der doppelten Menge ärztlich verordneter Opioid-Pflaster funktioniert. Zur sehr dringlichen Musik von Markus Kienzl und Matthias Jakisic führen Winter und Stocker also ihre Traumata spazieren wie Rudel schlecht erzogener Hunde, die mit Gewalt an der Leine bleiben, aber ausrasten, sobald der Zug erschlafft.
Und um das Ganze plausibel zu machen, steckt der Autorenfilmer die Antagonisten der Kommissare schon mal in Metzgerschürzen, auf denen beim Verhör in der Mastanlage das Blut frisch geköpfter Puten landet. Aufdringlicher auf Wirkung gebürstet ist da nur noch sein Fetisch, das Grauen sichtbar auszuwalzen. Während »Masters of Suspense« (Hitchcock!) durch Ausblenden expliziter Brutalität doppelten Horror erzeugt, muss Schier zwanghaft draufhalten, bis Satanisten eine (natürlich nackte) Frau verbrannt haben. Und ein erhängtes Kind am Seil zu zeigen, kann man schon machen – aber 15 Sekunden lang? Das ist bloßer Voyeurismus, den Schiers aufgestülpter »Dark«-Mystizismus nicht schlüssiger macht. Nur öder.
Kein Zweifel: Auch Staffel 3 von »Der Pass« ist imposantes, dramaturgisch fesselndes, also überdurchschnittliches Fernsehen, dem man sich nur schwer entziehen kann. Und Victoria Mayer als Verbindungsbeamtin Nadine Hofer ist auch darstellerisch ein Zugewinn. Niemand kann überdies auf so verletzt wütende Art aus dem Augenwinkel schräg aufwärts blicken wie Julia Jentsch. Und niemand so depressiv auf dicke Hose machen wie Nicholas Ofczarek. Nur was nützt die Exzellenz, wenn sie in ein Korsett aus selbstreferenzieller Effekthascherei gepresst wird und darin zu ersticken droht?
Dass irgendwann Reichsbürger am Bergkamm auftauchen, ließ sich da kaum noch vermeiden. Früher wurden deutsche Filmfiguren im Ausland nur als Landser, Nazis und deren Opfer wahrgenommen. Krimi-Opern wie diese ersetzen sie nun durch Psychopathen, Freaks und trübe Tassen. Auch nicht schön. Aber höchst erfolgreich.
Läuft auf Sky.
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