Studie zu Polizeigewalt: Männliche Beamte als Täter

Forschungsprojekt zu Körperverletzung durch Polizisten legt Abschlussbericht vor

Vor allem männliche Polizisten im Alter bis 30 Jahre wenden im Einsatz übermäßig Gewalt an, auch davon Betroffene sind überwiegend männlich und durchschnittlich 26 Jahre alt. Eine Ausnahme bilden Demonstrationen oder politische Aktionen, bei denen etwa der Anteil von Polizeigewalt betroffener Frauen 36 Prozent beträgt. So lauten zentrale Ergebnisse, die das Forschungsprojekt »Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamt*innen« (KviAPol) zutage gefördert hat. Am Dienstag haben die Beteiligten des inzwischen an der Goethe-Universität in Frankfurt/Main angesiedelten Vorhabens ihren Abschlussbericht vorgelegt.

Die in KviAPol vorgestellten Befunde erhellen das sogenannte Dunkelfeld polizeilicher Übergriffe, also nicht bekannt gewordene und nicht angezeigte Fälle. Unter Leitung von Tobias Singelnstein, Professor für Kriminologie und Strafrecht, haben die Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen Laila Abdul-Rahman, Hannah Espín Grau und Luise Klaus dazu mehr als 3300 Teilnehmende online befragt und über 60 qualitative Interviews mit Angehörigen von Polizei und Justiz, Opferberatungsstellen und Anwälten geführt.

Die meisten Betroffenen erlitten Polizeigewalt in verschiedenen Formen, beinahe zwei Drittel berichten von Schlägen sowie Stößen. Bei Fußballspielen und anderen Großlagen setzte die Polizei in ähnlicher Größenordnung Pfefferspray ein. Außerhalb von Großveranstaltungen beklagen 62 Prozent der Betroffenen unangebrachte Fesselungen und Fixierungen. 19 Prozent aller Befragten berichten von schweren Verletzungen, darunter an Gelenken und Sinnesorganen. Je schwerer die Verletzungen, desto schwerer waren auch die psychischen Folgen, heißt es weiter. 16 Prozent der Teilnehmenden verweisen auf einen Migrationshintergrund. Die meisten diese Personengruppe betreffenden Fälle erfolgten bei Polizeikontrollen sowie Konflikten, zu denen Beamte gerufen wurden.

In Interviews geben einige der Polizisten zudem die Existenz nicht erlaubter Einsatzmittel zu. »Wir haben selbstgedrechselte, wie heißen die, so japanische Massagestäbe«, berichtet eine polizeiliche Führungskraft. An einem Bändchen im Ärmel befestigt sei das von einem handwerklich begabten Kollegen gebaute Gerät in unbeobachteten Momenten genutzt worden, um den Opfern an bestimmten Körperstellen große Schmerzen zuzufügen.

Sowohl die Beamten als auch die Opfer von Polizeigewalt heben hervor, dass »Respektlosigkeiten und Provokationen« von Seiten der später Betroffenen die Eskalationen begünstigten. Das gelte für Fluchtversuche. »Wenn wir dich kriegen, hauen wir dir so in die Fresse, du kleiner Hurensohn, du feige Sau, die Kollegen stehen schon überall«, soll eine Beamtin einem Mann hinterhergerufen haben, der eigentlich nur Ausfallschritte gemacht hatte, nachdem er gestolpert war, angesichts der aggressiven Beamten aber tatsächlich weglief. Als der Geschädigte schließlich aufgab, schlug ihm ein Polizist mit der Faust ins Gesicht und brach ihm das Nasenbein. Es ist einer der wenigen Fälle, die ein Richter als »übermäßig« einordnete.

Als weiteren Eskalationsfaktor beschreiben die Forschenden männliches Dominanzverhalten oder rivalisierendes Verhalten zwischen Beamten und Betroffenen. Meist werde dies »auf der Seite der (männlichen) Bürger verortet«, heißt es in der Studie. Ein vergleichbarer Effekt könne aber auch für die polizeiliche Seite angenommen werden, wo ein bestimmtes Verständnis von Männlichkeit als »Cop Culture« tradiert wird.

Ähnliche Narrative wirken, wenn sich Beamtinnen gegenüber nicht-weißen Männern nicht durchsetzen können. Befolgen diese Anweisungen nicht, so werde dies auf die Religion oder Kultur zurückgeführt. Dies führe zu einem rassistischen »Beschützerinstinkt« männlicher Kollegen, der in folterähnliche Situationen münden kann: Nach frauenfeindlichen Beleidigungen soll ein im Nebenraum mithörender Wachdienstführer einem migrantisch gelesenen Mann in Gewahrsam einen Karton über den Kopf gestülpt und geschlagen haben. »Du bist hier auf einer deutschen Wache und so geht es hier jedem, der sich hier auf einer deutschen Wache nicht anständig benimmt«, habe der Täter dabei gesagt.

Im Jahr 2021 erledigten Staatsanwaltschaften 2790 Ermittlungsverfahren wegen »rechtswidriger Gewaltausübung« und »Aussetzung«, jedoch häufig ohne Konsequenzen für die polizeilichen Täter. In nur zwei Prozent der Fälle wurde überhaupt Anklage erhoben, 97 Prozent der Strafverfahren »mangels hinreichenden Tatverdachts«, gegen Auflagen oder wegen Geringfügigkeit eingestellt.

Bei den Befragten sei aber auch eine niedrige Anzeigebereitschaft festgestellt worden, heißt es in der Studie. »Ein Großteil der Verdachtsfälle rechtswidriger polizeilicher Gewaltanwendungen verbleibt dadurch im Dunkelfeld. Nur 14 Prozent der von uns befragten Betroffenen gab an, dass in ihrem Fall ein Strafverfahren stattgefunden habe«, stellt Tobias Singelnstein fest.

Oft könnten die tatverdächtigen Polizisten nicht identifiziert werden, zudem solidarisierten sich Polizeizeugen, wenn Kollegen angezeigt werden, folgert die Studie zu Gründen für die Straflosigkeit. Aussagen der Polizisten würden von Staatsanwälten und Richtern als besonders glaubwürdig eingeschätzt, dafür sorge auch ein »institutionelles Näheverhältnis« zwischen Polizei und Justiz. Trotz Sachleitungsbefugnis der Staatsanwaltschaft würden Ermittlungen in Strafverfahren gegen Polizisten zudem oft von Kollegen durchgeführt, was die notwendige Neutralität vermissen lasse. Schließlich seien auch Gegenanzeigen von Beamten nicht selten.

Übermäßige polizeiliche Gewaltanwendungen wie zuletzt am 1. Mai in Berlin und Hamburg seien zwar seit Längerem Thema der öffentlichen Debatte, jedoch wurde dies für Deutschland bisher kaum systematisch untersucht, schreiben die Macher der KviAPol-Studie. Diese Lücke will ihre 2018 begonnene Untersuchung füllen.

In Bezug auf die Bewertung polizeilicher Gewalt in Gesellschaft und Justiz erweise sich die polizeiliche Deutungsweise als besonders durchsetzungsfähig, hält das Forschungsteam als ein zentrales Ergebnis der Studie fest. Dies dokumentiere die »besondere Definitionsmacht der Polizei«. Deshalb brauche es beispielsweise unabhängige Kontroll- und Beschwerdestellen für die Polizei.

Die Gesamtergebnisse der verschiedenen Teilbereiche des Forschungsprojektes können als 500 Seiten starkes Buch »Gewalt im Amt« bestellt oder frei heruntergeladen werden.

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