Spanien: Miete bleibt Armutsfalle

Vor allem junge Menschen können sich in Spanien die steigenden Mieten längst nicht mehr leisten

  • Ralf Streck
  • Lesedauer: 4 Min.

Es sind keine Daten von Mietaktivisten, die auf eine dramatische Lage in Spanien hinweisen. Es sind Daten der spanischen Zentralbank. Sie zeigen: Praktisch die Hälfte aller Menschen, die in Mietwohnungen zu Marktpreisen leben, sind von »Armut oder sozialer Ausgrenzung« bedroht oder leben in Armut. Spanien hält nach Angaben der Banco de España (BdE) den traurigen Europarekord, denn das sei »der höchste Wert in der EU«, schreibt die BdE. Reiche Euroländer wie Deutschland oder Frankreich liegen zwar unter dem Durchschnitt von knapp 33 Prozent, aber in beiden Ländern sind 29 Prozent der Haushalte von Armut bedroht, wenn sie Marktmieten bezahlen müssen.

In Spanien müssen fast alle Marktpreise bezahlen, da es mit zwei Prozent nur sehr wenige Sozialwohnungen gibt. Auch dabei ist Spanien Europameister. Deshalb rutschen immer mehr Menschen in die Armut ab. Es liegt weit abgeschlagen hinter Ländern wie die Niederlande mit einem Anteil von 30 Prozent oder Österreich (24 Prozent). Auch Deutschland liegt mit nur neun Prozent Sozialwohnungen unter dem Durchschnitt.

Spanien steht auch weit oben auf der Rangliste der Euroländer, in denen die Haushalte mehr als 40 Prozent des Einkommens für die Miete aufwenden müssen. Mit 41 Prozent sei die Zahl »fast doppelt so hoch« wie im Durchschnitt, schreibt die Zentralbank. In dieser Kategorie wird Spanien im Euroraum allerdings von Griechenland und von den Niederlanden übertroffen.

Ohne die Finanzkrise zu nennen, weist die BdE auf massive Veränderungen hin, die sich seither zeigen. So verweist Ángel Gavilán auf den »starken Rückgang des Anteils der Haushalte mit Wohneigentum, der in Spanien seit 2014 zu beobachten ist«. Das habe in den letzten Jahren zu einer »Zunahme der Vermögensungleichheit« beigetragen, erklärt der Generaldirektor für Wirtschaft und Statistik der Zentralbank. Real hat der Trend aber früher begonnen. Dahinter steht die Zwangsräumungswelle im Rahmen der Finanzkrise, als Hunderttausende Familien die Hypothekenzinsen nicht mehr bezahlen konnten. Arbeitslosigkeit spielte eine Rolle, aber allem voran, dass die Zinsen oft kurzfristig an den Euribor gebunden sind. Das ist der Zinssatz für Interbankengeschäfte. Als der in der Finanzkrise in die Höhe schoss, wurden Zinsen für viele schnell unbezahlbar.

Während Banken mit Steuermilliarden gerettet wurden, flogen zahllose Familien aus ihren Wohnungen. Auf das knappe Angebot auf dem Mietmarkt traf so plötzlich eine große Nachfrage und trieb die Preise an. Seit 2011 geht die Zahl derer stark zurück, die in eigenen Wohnungen leben. Damals waren es fast 83 Prozent, 2020 nur noch knapp 74 Prozent. Bei jungen Menschen unter 35 Jahren hat sich die Zahl von einst 69 Prozent fast halbiert.

Die jungen Menschen wurden besonders in die Mietfalle gedrückt. Explodierende Mieten und Kaufkraftverluste wegen der hohen Inflation machen Mieten zunehmend unbezahlbar. Nach Angaben der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit haben Beschäftigte hier allein 2022 im Durchschnitt 5,5 Prozent an Kaufkraft verloren. In der katalanischen Metropole Barcelona sind die Mieten zwischen 2010 und 2020 dreimal so stark gestiegen wie die Löhne. Die Durchschnittsmiete stieg 2022 auf 1077 Euro und frisst damit den Mindestlohn auf, von dem viele Menschen leben müssen.

Die sozialdemokratische Regierung hat vier Jahre fast ungenutzt verstreichen lassen. Sie hat nicht verhindert, dass viele Hypotheken weiter an den Euribor gebunden sind. Das wird wegen steigender Leitzinsen zu einer neuen Enteignungswelle und zu noch stärkerem Druck auf dem Mietmarkt führen, da Zinsen erneut für viele unbezahlbar werden.

Das neue Wohnungsgesetz, das nach langen Verhandlungen zwischen Regierungschef Pedro Sánchez und dem Koalitionspartner Podemos kurz vor den anstehenden Wahlen zustande gekommen ist, bringt keine Mietsenkungen. Sie dürfen sogar weiter steigen, 2024 um drei Prozent, danach soll die Steigerung auf die Inflationsrate begrenzt werden. Da die Löhne mit der nicht mithalten, geht die Schere weiter auf. Auch die Zahl der Miet-Zwangsräumungen wird steigen.

Positiv ist laut der BdE am Gesetz, das am Mittwoch vom Senat verabschiedet wurde, dass ein »größerer Schwerpunkt auf die notwendige Erhöhung des Mietangebots« gelegt werde. Es werden aber viele Jahre vergehen, bis sich das spürbar verändern kann. Bisher hatten sich die Sozialdemokraten Forderungen des Juniorpartners Podemos widersetzt, Wohnungen endlich auf den Markt zu bringen, die die staatliche Bad Bank von Banken übernommen hat. Das soll nun geschehen. Aber das sind bestenfalls 50 000, von denen viele erst fertiggestellt und 15 000 sogar erst gebaut werden müssen, gibt die Regierung zu.

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