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Kurierdienst EcoCarrier klimaneutral ausgebremst
Ehemalige Radkuriere der Stuttgarter Firma EcoCarrier am Standort Berlin erstreiten Abfindungen
Die Lastenrad-Attrappe schafft es keinen Meter, da löst sich schon der Pappkarton vom Fahrgestell. Bei den rund 20 Teilnehmenden der Kundgebung vor dem Arbeitsgericht löst dies Belustigung aus. Nachdem die Teile wieder zusammengesetzt sind, bemalen zwei Anwesende den Kasten mit grüner Farbe. Der neue Anstrich soll den Protest gegen »Greenwashing« zum Ausdruck bringen: grüner Anstrich, wenig dahinter.
Einige der Versammelten fuhren bis vor Kurzem noch für EcoCarrier Biokisten und Lebensmittel aus. Das Stuttgarter Unternehmen wirbt mit fairen Arbeitsbedingungen und präsentiert sich mit E-Lastenrädern als umweltfreundliche Alternative für die »letzte Meile«, den Warentransport zum Endverbraucher. Ab Ende Dezember wurden schrittweise alle Mitarbeitenden entlassen. Der Berliner Standort wurde in der Folge zu Ende Februar aufgelöst. Viele Kuriere sehen sich von ihrem ehemaligen Arbeitgeber betrogen. 19 von ihnen sind daher gerichtlich gegen ihre Kündigungen vorgegangen, teils versehen mit Lohnklagen. »Wir machen unsere Arbeit gut und gerne. Aber unsere Arbeitsbedingungen sind mehr als prekär«, sagt Anna T.
Die entlassenen Kuriere erheben schwere Vorwürfe. So sei Treppengeld für die Beschäftigten an das Unternehmen geflossen. Auch habe mangelnde Wartung der Fahrräder zu Unfällen beigetragen. Noch im November 2022 soll Geschäftsführer Raimund Rassillier den Beschäftigten eine Expansion des Standorts versprochen haben. Zudem seien die Angestellten mit Verwaltungsaufgaben betraut worden.
Nach den ersten Kündigungen hatten sich Beschäftigte organisiert, unter anderem um eine Wahlversammlung zur Vorbereitung einer Betriebsratswahl abzuhalten. »Trotz mehrfacher Nachfrage händigten sie uns keine Liste der wahlberechtigten Mitarbeiter*innen aus. Stattdessen verkündete die Firma zu diesem Zeitpunkt die angebliche Schließung der ganzen Zweigstelle Berlin«, so Anna T. Zudem soll Rassillier Beschäftigten im April per E-Mail »systematischen Arbeitszeitbetrug« vorgeworfen haben.
Im Gerichtssaal herrscht dagegen ein eher versöhnlicher Ton. Wie in fünf vorherigen Fällen werden auch am Dienstag Vergleiche erzielt. Für die drei ehemaligen Beschäftigten einigt man sich auf Summen zwischen 900 und 1300 Euro. In zwei Fällen war die Probezeit bereits überschritten, was ordentliche Kündigungen und entsprechende Nachzahlungen erforderlich macht. Allerdings monieren die Kläger, dass die für die Massenentlassung notwendige Anzeige nicht eingegangen sei. Sie stellten damit auch die Wirksamkeit der betriebsbedingten Kündigungen infrage. In elf weiteren anhängigen Verfahren könnte diese Frage erneut eine Rolle spielen.
Geschäftsführer Rassillier beteuert gegenüber »nd«, eine Massenentlassungsanzeige bei der Arbeitsagentur gemacht zu haben. Er bestreitet die Behauptung der Kuriere, er habe eine Expansion versprochen. Er habe stets klar kommuniziert, wie vorgegangen werde. Durch das Abspringen von zwei wichtigen Kunden, zuletzt eines Biokistenvertriebs, sei bedauerlicherweise das Ende für den Berliner Standort besiegelt worden. Zudem seien keine Arbeitsunfälle auf Mängel an den genutzten Lastenrädern zurückzuführen. Beim Treppengeld handele es sich um einen reinen Rechnungsposten für die Lieferung in höhere Stockwerke und nicht um Trinkgelder für die Fahrer.
Zu den Vorwürfen der Kuriere, sie mit Verwaltungsaufgaben betraut zu haben, sagt Rassillier, die Niederlassungsleitung habe eigenmächtig Fahrer für das Backoffice eingeteilt. Eine Betriebsratswahl habe man stets unterstützt, um einen Ansprechpartner aus den Reihen der Fahrer im Betrieb zu haben. »Für die Wahlversammlung am 26. und 27. Januar haben wir die Beschäftigten von der Arbeit freigestellt und ganz normal den Lohn bezahlt«, versichert Rassillier. Die Zustellung der Wählerliste sei allerdings innerhalb der auf wenige Tage angesetzten Frist nicht machbar gewesen. Die Vermutung, dass einige Kläger bei der Arbeitszeit betrogen haben, hält Rassilier aufrecht. »Wir versuchen dennoch, nun für alle eine gute Lösung zu finden«, sagt der Unternehmer.
Ex-Kurierin Johanna H. zeigt sich indes zufrieden über die erreichte Abfindung. »Ich schmelze gerade Geld ab, das ich noch hatte«, sagt sie. Bei ihrem aktuellen Job in der gleichen Branche habe sie weniger Stunden, bei EcoCarrier hatte sie 20 Wochenstunden zu je 13 Euro gearbeitet. »Ich bin vorsichtiger bezüglich Arbeitgebern geworden. Grundsätzlich genieße ich aber die Arbeit an der Sonne«, sagt Johanna H. Sie lobt die unbürokratische Unterstützung durch die Freie Arbeiter*innen-Union (FAU) und kündigt an, sich für die restlichen klagenden Ex-Kollegen einzusetzen. »Wir hören nicht auf, bis wir nicht bei allen eine Einigung erzielt haben. Für uns ist das ein kollektiver Kampf.«
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