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Wechselbäder in Island
Über Wasser: Baden bei sechs bis 44 Grad Celsius
Ich halte die Luft an. Eigentlich möchte ich schreien. Ich habe das Gefühl, in kochendem Wasser zu stehen. Warum bin ich freiwillig in diesen Pott gestiegen? Ein Schild verkündet über dem dampfenden Steinbottich 42 bis 44 Grad Celsius, drin liegt ein bis auf Nasenspitze und Augenpartie entspannt versunkener Mann. Er muss eine andere Temperaturwahrnehmung haben als ich. So behutsam wie möglich gehe ich rückwärts die zwei Stufen aus dem gekachelten Wasserbecken hoch und atme durch. Bei acht Grad Lufttemperatur lässt der Schmerz schnell nach. Ein paar Schritte und ich gleite ins 38-40-Grad-Becken, dort tummeln sich vier Leute und drücken immer wieder auf den Startknopf der Rückenmassagestrahler.
Mitte April 2023. Meine Freundin und ich sind eine Woche in Reykjavik, sie ist genauso verrückt nach Wasser wie ich. In unsere Zeit in Island fällt der Sommeranfang, was man bei maximal zehn Grad nicht an den Temperaturen bemerkt, sondern an den kurzen Hosen und bloßen Schultern vieler junger Menschen. Trotz des beharrlich stürmenden eisigen Windes. Das Wetter ändert sich stündlich. Sind wir wieder durchgefroren und nassgeregnet, haben Kilometer zum Leuchtturm, durch das Zentrum mit seinen alten Holzhäusern und Villenvierteln, den einzigen Wald, über Friedhof, Punkmuseum und Regenbogenstraße geschrubbt – wartet ein Bad.
In sieben Tagen besuchen wir sieben Bäder, Eintrittspreis jeweils etwa acht Euro. Das Älteste ist das Sundhöll Reykjavíkur, mit Außen- und Innenschwimmbad, Dampfsauna, heißen Pötten von 38 bis 44 Grad Celsius und Rückenmassagestrahlern. Im Laugardalslaug, dem größten Schwimmbad der Stadt, gibt es Innen- und Außenbahnen über 50 Meter, die üblichen sechs bis acht Grad kalten und heißen Pötte und einen hellblau gekachelten Meereswasserpool. Das Vesturbær-Bad hat eine eigene Frauensauna, am Strandbad Nauthólsvík kann man vom Thermalbecken hinunter zum Atlantik laufen und im Meer schwimmen. Das währt bei uns sehr kurz, während zwei Frauen mit Hand- und Fußgummischuhen bei sechs Grad Wassertemperatur gemächlich an uns vorbeiziehen. Im Bad Seltjarnarness übt eine Schulklasse Schwimmen, Kindergartenkinder planschen im flachen Becken mit Schwimmhilfen. Ich ziehe mich in die Dampfsauna zurück, wate einmal fix durch den sechs Grad kalten Pott mit Geländer und flitze zum Rückenmassage-Becken.
Jedes Bad bietet Besonderes: Wettkampftribüne, Wasserrutsche, Unterschenkel-Massagestrahler, kostenlosen Kaffee oder Liegestühle mit Meerblick. Alle haben kostenlose Föne und eine geniale Vorrichtung: eine Bekleidungsschleuder, die unsere Badeanzüge fast trocken wieder ausspuckt. Danach schlendert es sich leicht weiter – ins Fotografie-Museum zum Beispiel, wo die Frühzeit der isländischen Badekultur zu bestaunen ist. Reykjavik wurde in der »rauchenden Bucht« gegründet, ihre dampfenden Quellen dienten lange zum Wäschewaschen und speisen heute das größte Schwimmbad der Stadt.
Am verträumtesten ist die Geheime Lagune, ein Schwimmbad irgendwo in den Bergen, die wir auf der Rücktour von Kontinentalplattenspalte, Wasserfall und Geysir queren. Es gilt als ältestes Schwimmbad der Insel, schwarz-weiß Fotos im Foyer des Badehauses zeigen Generationen glücklicher Kinder. Das geräumige Becken liegt eingebettet zwischen Flusslauf, Moospolstern und dampfenden Quellen. Wasser köchelt drei Meter neben mir und gluckert schlierig ins Bad. Ich tauche mit Schwimmbrille ab, sehe zappelnde Kinderbeine und gleite tiefer und tiefer.
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