Vom Duell und Streit zum Dialog

160 Jahren deutsche Sozialdemokratie – ein Rückblick. Fragen an Dr. Elke Leonhard

Am Anfang der deutschen Sozialdemokratie standen nicht nur Männer, und doch werden die Frauen immer wieder vergessen.
Am Anfang der deutschen Sozialdemokratie standen nicht nur Männer, und doch werden die Frauen immer wieder vergessen.

An der Wiege der deutschen Sozialdemokratie so man den Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein, ADAV, als eine solche benennen will stand eine Frau, eine Gräfin, Geliebte von Ferdinand Lassalle: Sophie von Hatzfeld. In ihrer Geschichte hat die SPD allerdings sehr viel mehr beeindruckende, charismatische Frauen hervorgebracht, die vielfach dann in der KPD ihre politische Heimat fanden ...

Interview

Elke Leonhard, Jg. 1949, studierte Jura und Psychologie an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Seit 1968 Mitglied der SPD vertrat sie ihre Partei 1990 bis 2005 im Bundestag. Die langjährige Präsidentin der Parlamentarischen Gesellschaft war mit dem 2014 verstorbenen Historiker, Sowjetunion- und DDR-Experten Wolfgang Leonhard verheiratet.

  • Listenpunkt

    Gräfin Hatzfeld, eine dem Adel entflohene Sozialistin, finanzierte und unterstützte Ferdinand Lassalle. Was immer es war, Liebe war wohl auch im Spiel zwischen dem Arbeiterführer und der 20 Jahre älteren Sophie Ernestine Gräfin von Hatzfeld-Wildenburg-Schönstein, die übrigens, nach Lassalles frühen Tod, seine Schriften herausgab. Zum Duell ist viel gesagt und ebenso viel Unsinn wiederholt worden. Tatsache ist, dass Lassalle nicht der Gräfin wegen im Morgengrauen des 28. August 1864 in der Genfer Vorstadt Carouge fiel, sondern einer jungen Geliebten wegen.

    Ja, die Sozialdemokratie schrieb die Rechte der Frau von Beginn ihrer Geschichte auf ihre Fahnen. August Bebel, der 1879 das Buch »Die Frau und der Sozialismus« veröffentlichte, war entschieden der Auffassung, dass es eine Schwächung der sozialistischen Bewegung sei, wenn sie in Frauen und Männer unterteile. Die Partei kämpfe für Gerechtigkeit, Frieden, Internationalismus und Freiheit, und das könne sie nur, wenn sie geschlossen und geeint erfolgreich gegen den Klassenfeind zum Felde zöge.

    Als sich dann im Mai 1875 in Gotha zwei Strömungen der Sozialdemokratie zur Sozialistischen Arbeiterpartei zusammenschlossen, traten unterschiedliche Auffassungen aufeinander: Lassalles Arbeiterverein war autoritär strukturiert, während die Vertreter der 1869 in Eisenach gegründeten Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP) fast schon antiautoritär auftraten: »Sobald eine Partei bestimmte Personen als Autorität anerkennt, verlässt sie den Boden der Demokratie, denn Autoritätsglaube, der blinde Gehorsam des Personenkults ist an sich undemokratisch ...«

    Rosa Luxemburg hat unter der Herrschsüchtigkeit der Genossen gelitten, sich aber auch zu wehren gewusst. Und gehörte dann zu den Begründern der KPD.

    Innerhalb der anfangs relativ einheitlichen, sozialdemokratischen Bewegung kristallisierten sich seit den 1870erJahren immer deutlicher zwei gegensätzliche Strömungen heraus: eine reformistisch-parlamentarische und eine revolutionär-antikapitalistische. Um die Jahrhundertwende kulminiert die innerparteiliche Debatte um die richtige strategische Ausrichtung im sogenannten Revisionismus-Streit. Eine erbittert geführte Auseinandersetzung, deren Hauptprotagonisten die Theoretiker Karl Kautsky und Eduard Bernstein waren. Der mit allen Bandagen geführte Streit führte zu einem großen Sprung in der Bewusstseinsbildung der Bevölkerung und brachte letztendlich einen der größten Wahlerfolge für die SPD. Bernsteins These, dass der Kapitalismus nicht durch Revolution, sondern durch schrittweise Reformierung überwunden werden solle, blieb das Credo der Sozialdemokraten. Dieses wurde von Rosa Luxemburg, Clara Zetkin und vielen anderen mehr aber auf’s entschiedene bekämpft und führte letztendlich, nach dem Streit um die Kriegskredite am 4. August 1914, zur mehrfachen Spaltung der Partei.

    Ist die SPD eine feministische Partei?

    Ich würde nicht so weit gehen, die SPD als feministische Partei zu bezeichnen.

    Was halten Sie von feministischer Außenpolitik?

    Nichts! Die SPD ist eine Partei, die ihr Menschenbild aus der Philosophie der Aufklärung ableitet. Der mündige Bürger ist das Ziel, das sich nicht zwingend geschlechtsspezifisch definieren lässt. Es gibt keinen wissenschaftstheoretischen Ansatz, der einen solchen Anspruch legitimieren würde. Die Außenpolitik sollte auf drei Säulen beruhen: klassische Diplomatie, Außenwirtschaft und als dritte auf eine auswärtige Kulturpolitik, wie sie von Willy Brandt etabliert worden ist. Nicht mehr und nicht weniger. Im Rahmen dieser drei Säulen sind klare, nationale Interessen zu definieren und in einer intelligenten Strategie durchzusetzen.

    Ist die SPD noch eine Friedenspartei? Für die anfangs August Bebel und Wilhelm Liebknecht standen, obgleich Bebel dann auch zum Krieg gegen Russland, damals zaristisch, aufgerufen hat. In Anbetracht der Zustimmung zu den Kriegskrediten im Ersten Weltkrieg, Nato-Doppelbeschluss bis hin zu den heutigen Waffenlieferungen für die Ukraine mag man zweifeln.

    Die deutsche Sozialdemokratie ist eine Friedenspartei. Von ihr ging nie Krieg aus! Am 19. Februar 1878 bekannte sich Wilhelm Liebknecht im Reichstag zum Internationalismus. Er betonte, dass Kriege nicht eher beseitigt werden können, »bis die Völker ein neues Völkerrecht geschaffen haben, ein wahres Völker- und Menschenrecht, welches das gleiche Recht eines jeden einzelnen anerkennt. Erst dann, vorher nicht, wird der Welt Frieden möglich sein.«

    Bei allem Idealismus schloss die Außenpolitik der Sozialdemokratie Krieg als mögliches Mittel zur Erreichung ihres angestrebten Zustandes nicht aus. Die Frage, ob ein Krieg berechtigt sei oder nicht, richte sich nach dem Zweck, zu dem er geführt werde. Die Sozialdemokraten erkannten grundsätzlich die Berechtigung von Freiheitskriegen an, allerdings nur unter der Bedingung, dass Freiheit und Rechte des angegriffenen Volkes auf dem Spiel standen. August Bebel: »Ein bewaffnetes Volk ist ein freies Volk und lässt sich von niemanden unterdrücken. «

    Ist die Entspannungs- und Ostpolitik von Willy Brandt gescheitert, wie man nicht nur hinsichtlich des Ukrainekrieges konstatieren mag?

    Die Entspannungs- und Sicherheitspolitik, auch Neue Ostpolitik genannt, war ein großer internationaler Erfolg der ersten sozialliberalen Koalition unter Willy Brandt. Ohne den permanenten Ost-West-Dialog wären die autoritären Systeme Ost- und Mitteleuropas und der Sowjetunion nicht wie ein Kartenhaus zusammengebrochen. Die Ostpolitik und die mit ihr verbundenen Instrumente des Helsinki-Prozesses waren ein aktiver Beitrag zum Weltfrieden. Anstatt sich in Schutt und Asche zu versenken, sollte sich die Sozialdemokratie heute dieser Erfolge besinnen und erneut einen Ost-West-Dialog etablieren. Die These »Wandel durch Annäherung« ist weder als Instrument noch in Gänze gescheitert, sondern verlangt heute neue, intelligente Strategien. Ich bin der Auffassung, dass wir einen neuen Dialog analog zum Helsinki-Prozess benötigen. Die erste Konferenz tagte mehr als 24 Jahre. Es wird bei der Verwahrlosung der Sprache durch Desinformation in der Gegenwart großer Versachlichung und Geduld bedürfen, bevor neue Verträge der Abrüstung und Partnerschaft geschlossen werden können. Auch dazu dient das Instrument der Aufklärung und des Dialogs durch eine permanente Konferenz. Ich bin mir ganz sicher, dass mein Mann, Wolfgang Leonhard, gegenwärtig eine Renaissance der Ostpolitik gefordert hätte, diesmal unter wesentlich aktiverer Teilnahme aller Mittel- und Osteuropäer, die viel Mut und Freiheitswillen eingebracht haben. Er wäre für die Wiederbelebung vertrauensbildender Prozesse wie die von der SPD mit Erfolg zum Ziel gebrachten Ost-West-Dialoge.

    Wenn sich die SPD etwas vorwerfen muss, dann ist es die Ignorierung der Freiheitsbewegungen Osteuropas, ich nenne an dieser Stelle nur Ungarn 1956, Prager Frühling 1968, Solidarność 1980 ... Sie alle kämpften mit Hingabe und großer Überzeugung für Freiheit und Rechtsstaatlichkeit; ein Kampf, der mit Panzern und Gewalt erbärmlich niedergeschlagen wurde. Es war den Protagonisten oft nicht möglich, deutsche Verlage zur Veröffentlichung ihrer Werke zu finden. Mit Wolfgang Leonhard zusammen etablierte ich die Reihe »Europäische Zeitzeugen«, und wir kauften die Rechte osteuropäischer Freiheitskämpfer auf. Anfang der 90er stellten wir die Reihe ein, weil es für Osteuropäer wieder möglich wurde, ihre Werke in ihren Ländern zu veröffentlichen. Es wird sensibler Vertrauensarbeit und vieler Konferenzen bedürfen, bis die im Moment als paranoid abgestempelten Verhaltensweisen der Osteuropäer verstanden werden und umgekehrt die Einsicht in die Notwendigkeit der Freiheitsbewegungen in den westlichen Ländern Europas verstanden wird.

    Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
    Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
    Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

    Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

    Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

    Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

    Unterstützen über:
    • PayPal