Rote-Insel-Fest in Schöneberg: Aufkleber führt zu Eskalation

Erste Verurteilung im Prozess um »Spielplatz-Mob« wegen tätlichen Angriffs

  • Felix Schlosser
  • Lesedauer: 4 Min.
Anfangs soll die Stimmung beim Rote-Insel-Fest noch friedlich gewesen sein. Doch ein Aufkleber führte zur Eskalation.
Anfangs soll die Stimmung beim Rote-Insel-Fest noch friedlich gewesen sein. Doch ein Aufkleber führte zur Eskalation.

»Hier flieht die Berliner Polizei vor einem Spielplatz-Mob«, »am Boden liegendem Beamten gegen Kopf getreten, «verstörende Szenen in Berlin», «wütende Menge greift Polizei an» – mit diesen markigen Schlagzeilen beschrieben Berliner Zeitungen eine Situation im August 2021 in Schöneberg. Nahe der «Roten Insel», einem linken Kulturzentrum, kam es nach einer Festnahme zur Konfrontation zwischen Linken und der Polizei auf einem Spielplatz. Am Mittwoch hat der erste Prozess zu diesem Vorfall begonnen.

Dem Angeklagten werden tätlicher Angriff, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Gefangenenbefreiung vorgeworfen. Eine Kundgebung vor dem Gerichtsgebäude, die sich solidarisch mit dem sogenannten Spielplatz-Mob zeigte, wurde von rund 15 Unterstützer*innen des Angeklagten besucht.

Die «Rote Insel» in Schöneberg ist ein linker Veranstaltungsort, dort finden Punkrock-Konzerte, Barabende und Solidaritätspartys für die linke Szene statt. Am 8. August 2021 veranstaltete die «Rote Insel» auf einem benachbarten Platz das Rote-Insel-Fest, in dessen Verlauf es zu Auseinandersetzungen zwischen den Besucher*innen und der Polizei kam. Die in der Situation zahlenmäßig unterlegene Polizei musste im Anschluss fluchtartig die Mansteinstraße verlassen.

Der Auslöser der Eskalation: Eine am Fest teilnehmende Person klebte einen Sticker auf ein Parkschild. So schildern es sowohl Polizeizeugen als auch unterschiedliche Statements auf der linken Plattform Indymedia, unter anderem vom autonomen Jugendzentrum «Potse», damals ebenfalls noch in Schöneberg. Anwesende Polizeibeamt*innen, die das bemerkten, kontrollierten die Person. Dabei sollen sie deren Kopf in den Sand gedrückt haben. Daraufhin sollen solidarische Festbesucher*innen herbeigeeilt sein, um dem betroffenen Menschen beizustehen.

Dies zeigen auch Videoaufnahmen, die vor Gericht abgespielt werden. Dem Polizeizeugen Maximilian S. zufolge zufolge schlug ihm im Zuge der anschließenden Auseinandersetzung eine unerkannt gebliebene Besucherin auf die Schulter, weshalb er sie habe festnehmen wollen. In dieser Situation soll wiederum der Angeklagte versucht haben, die hinzugekommene Besucherin zu befreien, indem er S. gewürgt habe. Bei der nachfolgenden Festnahme wurde laut S. zudem Widerstand geleistet.

Auf den im Prozess gezeigten Videos ließ sich das nur schwerlich erkennen. Nur kurz liegt ein Arm des Angeklagten um die Schulter des Polizisten. Der zweite Polizeizeuge räumte auf Nachfrage der Verteidigung ein, dass es sich vermutlich weniger um einen Angriff auf den Polizisten S. gehandelt habe als um den Versuch, die Festnahme der Frau zu verhindern. Der Polizist gab auch an, dass er keine Widerstandshandlungen nach dem Abschirmen der Festnahme habe wahrnehmen können. Im Gegensatz zu dem ersten Polizeizeugen S. entlastete er damit den Angeklagten.

Der Angeklagte selbst beschreibt seine damalige Festnahme im Gespräch mit «nd» als «brutal». «Ich wurde zu Boden gerissen, dabei wurde mir ins Gesicht geschlagen. Dann wurde mein Gesicht für mehrere Sekunden in den Sand gedrückt. Mir wurden Handschellen angelegt.» Der die Festnahme tätigende Beamte S. bestätigte diese Vorwürfe vor Gericht und sprach von mehreren Faustschlägen in das Gesicht des Angeklagten.

Im Anschluss an die Festnahme sei er im Mannschaftswagen und bei der erkennungsdienstlichen Behandlung auf der Wache weiter drangsaliert worden, berichtete der Angeklagte. «Ich wurde in die Wanne gezerrt und erst in den Fußbereich gelegt. Dabei wurde mir gegen die Beine getreten. Beim Losfahren sind die Polizisten in die Wanne gedrängt. Ein Polizist hat mir dann auf die Hände und Schultern getreten. Am Schluss sogar auf den Kopf.» Im Funkverkehr, den der Angeklagte im Mannschaftswagen mitgehört haben will, sollen die Polizisten die Festbesucher*innen mehrmals als «Spasten» bezeichnet haben. Bei der anschließenden erkennungsdienstlichen Behandlung habe ein Polizist demonstrativ vor ihm eine Ausgabe des rechtsextremen Magazins «Compact» gelesen.

Nach dem Verhör weiterer Polizisten forderte die Staatsanwaltschaft sechs Monate Haft auf Bewährung. Letztlich wurde der Angeklagte wegen tätlichen Angriffs und Widerstands zu 100 Tagessätzen à 20 Euro verurteilt. Die Gefangenenbefreiung konnte ihm nicht nachgewiesen werden. Auffällig an dem Prozess ist, dass sowohl die Polizei als auch Festbesucher*innen die Stimmung vor der ersten Festnahme als friedlich bewerteten. Damit ist es schon der zweite Prozess in Folge, bei der ein Einsatz der 11. Polizeieinsatzhundertschaft nach einem Verdacht auf mutmaßliche Bagatelldelikte völlig aus dem Ruder lief und in einer Gewalteskalation endete. Bei einem Prozess vergangene Woche ging es um eine Beleidigung des ehemaligen innenpolitischen Sprechers der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Tom Schreiber, für die jedoch vor Gericht bis dato niemand verurteilt wurde. Diesmal war der Auslöser das Anbringen eines Stickers, was gemeinhin als Ordnungswidrigkeit bewertet wird.

Zwar wurde das Berliner Versammlungsfreiheitsgesetz im Februar 2021 reformiert, erstmals wurde ein Deeskalationsgebot gesetzlich verankert. Folgen für die eingesetzten Polizeibeamten wird es aber wohl nach beiden Einsätzen nicht geben.

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