Juliane Nagel im Schwitzkasten der Polizei von Berlin

Opposition fordert Aufklärung zu brutalem Einsatz der Polizei Berlin in Leipzig

  • Rainer Rutz
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach dem rabiaten Vorgehen von Berliner Polizisten gegen die sächsische Landtagsabgeordnete Juliane Nagel bei einer Demonstration am Donnerstagabend in Leipzig fordern die Berliner Linken und Grünen eine umgehende Erklärung von SPD-Innensenatorin Iris Spranger. Ein Video dokumentiert, wie die Linke-Politikerin Nagel nach Abschluss der Veranstaltung von zur Unterstützung der sächsischen Polizei eingesetzten Hauptstadt-Beamten im Schwitzkastengriff abgeführt und mit erhobenen Händen an einen Polizeitransporter gedrückt wird. Das Video ging noch am Abend in den sozialen Medien viral – und sorgt auch in der Berliner Opposition für Empörung.

»Selbstverständlich muss hier seitens der Berliner Polizei und der Innenverwaltung eine Aufklärung erfolgen«, sagt Vasili Franco, der Innenexperte der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, zu »nd«. Alles deute auf eine »übermäßige Gewaltanwendung« hin. Wobei der Vorfall eine »besondere Qualität« dadurch erfahre, dass er sich gegen eine Parlamentarierin richtete, so Franco. »Auch wenn Berliner Polizist*innen in anderen Bundesländern unterstützend tätig sind, befreit es sie nicht davon, sich an Recht und Gesetz zu halten.«

Francos Abgeordnetenhauskollege Niklas Schrader sieht das exakt genauso. Der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion sagt zu dem Einsatz: »Es gibt nichts, was darauf hindeutet, dass von Jule Nagel Gewalt ausgegangen wäre. Dass sie auf so rabiate Weise festgenommen wurde, ist unverhältnismäßig, überzogen, kurzum: nicht akzeptabel.« Auch Schrader sagt zu »nd«, er erwarte, »dass Innensenatorin Spranger zügig aufklärt, wie es zu dieser Maßnahme kommen konnte«. Und dies unabhängig von dem Umstand, dass der Einsatz in Sachsen unter der Regie der dortigen Polizei stattfand.

Die Leipziger Polizei selbst versuchte zunächst, die Angelegenheit herunterzuspielen. Im Anschluss an die linke Demonstration durch die Leipziger Innenstadt mit rund 170 Teilnehmern sei es »zur Störung einer polizeilichen Maßnahme durch eine den dort handelnden Einsatzkräften bis dahin unbekannte weibliche Person gekommen«. Nachdem man festgestellt habe, dass es sich hierbei um die Landtagsabgeordnete Juliane Nagel handelt, habe man sie »wieder aus den Maßnahmen vor Ort entlassen«. Also alles halb so wild?

Die Darstellung von Nagel steht dem diametral entgegen. Nagel hatte die auch unter dem Eindruck des Dresdener Urteils gegen die angebliche Gruppe um die Antifaschistin Lina E. stehende Demonstration unter dem Motto »Tag der Jugend« angemeldet. Nach ihrer Freilassung erklärte die Linke-Politikerin, sie habe zuletzt »eine Maßnahme beobachtet, in der eine junge Frau, vielleicht minderjährig, und ein Schwarzer Mensch identitätsbehandelt wurden von der Polizei«.

Dabei sei sie von den Polizisten aus Berlin erst beleidigt, dann »aus dem Weg geschubst« und schließlich selbst Ziel der Polizeimaßnahme geworden. Damit nicht genug der Vorwürfe gegen die Unterstützungskräfte aus der Hauptstadt: »Im Polizeiauto ist mir auch gesagt worden, dass es den Beamten scheißegal ist, ob ich eine Abgeordnete bin.«

In der Berliner Innenverwaltung hält man sich mit einer Bewertung der Schilderungen aus Leipzig zurück. Schriftlich klarstellen will man auf nd-Nachfrage aber, dass die von Nagel berichtete Scheißegal-Äußerung »nicht mit der Rolle und dem Selbstverständnis, die beziehungsweise das die Senatsverwaltung für Inneres und Sport von Polizist*innen erwartet, vereinbar« wäre.

Auch gelte selbstverständlich, »dass unrechtmäßige Maßnahmen beziehungsweise Straftaten durch Polizist*innen straf- und/oder dienstrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen«, so die Innenverwaltung weiter. Die Ermittlungen führe aber die Leipziger Polizei, der die Berliner Kollegen »bereits vollumfängliche Unterstützung bei der Aufklärung der im Raum stehenden Vorwürfe zugesichert« hätten.

Linke-Politiker Niklas Schrader will sich mit den Antworten aus dem Haus von Innensenatorin Spranger zum Auftreten der Polizei nicht zufrieden geben. Dies umso weniger, als Berliner Beamte bereits am Mittwoch bei einer Demonstration in Kreuzberg gegen die Urteile im sächsischen Antifa-Ost-Prozess übermäßig hart durchgegriffen haben. Schrader sagt: »Es besteht auf jeden Fall Anlass zur Sorge, dass seit dem Regierungswechsel in Berlin auch bei der Polizei eine neue Linie einzieht.«

Während die Hauptstadt-Polizei den Einsatz der nach eigenen Angaben insgesamt rund 100 Berliner Beamten in Sachsen bislang öffentlich unkommentiert lässt, hat Leipzigs Polizeipräsident René Demmler noch am Freitag das Gespräch mit Juliane Nagel gesucht. Wie die sächsische Behörde hinterher mitteilte, habe Demmler hinsichtlich der Scheißegal-Äußerung eingeräumt, »dass diese Art der Kommunikation – wenn sie so stattgefunden haben sollte – weder professionell noch in der Sache angemessen sei« und Nagel um Entschuldigung für das Verhalten der Berliner Kollegen gebeten.

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