Taurin: Besser Sport als Energy-Drinks

Vielversprechend im Tierversuch: Die Aminosäure Taurin als Anti-Aging-Mittel

Auch Sport erhöht die Taurinwerte im Blut: Ein Energy-Drink danach wäre nicht nötig.
Auch Sport erhöht die Taurinwerte im Blut: Ein Energy-Drink danach wäre nicht nötig.

Taurin ist eine Aminosäure, die in der Leber gebildet und durch die Nahrung aufgenommen wird. Vielen Verbrauchern dürfte Taurin bekannt sein: Aus sogenannten Energy-Drinks, auch als Nahrungsergänzungsmittel – und aus Katzenfutter.

Bei Taurin handelt es sich um Aminosulfonsäure, die als Abbauprodukt der beiden Aminosäuren Methionin und Cystein entsteht. Beide enthalten Schwefel. Methionin ist lebensnotwendig und muss über die Nahrung aufgenommen werden, da es nicht vom Körper selbst hergestellt werden kann. Cystein hilft dem Körper bei der Entgiftung von Bakterien, Medikamenten und Alkohol. Das Körperprotein Keratin besteht zu einem großen Teil aus Cystein, es ist der Grundbaustein für Haare, Haut und Nägel.

Unverzichtbar ist jedoch auch das Abbauprodukt der beiden Säuren: Taurin kommt in hoher Konzentration im Herzmuskel vor, ist zudem Bestandteil der Gallensäure, des Gehirns, der Netzhaut, der weißen Blutkörperchen – wie auch der Muskeln allgemein. Taurin ist wiederum nicht essenziell – das heißt, der Körper kann es selbst produzieren, wenn eben Methionin und Cystein zur Verfügung stehen. Eine Ausnahme gilt für Säuglinge: Sie müssen Taurin über die Muttermilch oder Milchersatz aufnehmen, da sie den Stoff noch nicht selbst synthetisieren können.

Taurin ist in diesen Geweben und Körperteilen nicht einfach nur enthalten, sondern erhält etliche Organfunktionen aufrecht. So wirkt es zunächst einmal ganz allgemein als Antioxidans, das freie Radikale abfängt. Die aggressiven Sauerstoffverbindungen würden sonst gesunden Zellen Elektronen entziehen und deren Funktion stören.

Außerdem unterstützt Taurin die Produktion von Bewegungsenergie und die Bildung von Gallensäuren, über die es an der Fettverdauung beteiligt ist. Es schützt den Herzmuskel, vor allem dessen Kontraktionsfähigkeit und unterstützt die Immunabwehr. Für die frühkindliche Entwicklung des Gehirns und des Sehapparats ist Taurin unverzichtbar, etwa für die Bildung von Netzhaut und Nervenzellen von Neugeborenen.

Angesichts dieser Vielfalt von Funktionen ist es besonders erstaunlich, dass die Verbindung noch so wenig Anwendung in der Medizin gefunden hat. Unter anderem wird sie künstlicher Ernährung zugesetzt, bevorzugt für Säuglinge.

In Energy-Drinks verstärkt Taurin die belebende und anregende Wirkung von Koffein, die Wirkung ist aus diesem Grund vitalisierender als Kaffee. Diese Anwendung ist zwar nicht medizinisch begründet, gehört aber zum Alltag vor allem vieler junger Menschen. Drogerien verkaufen auch sogenannte Energy-Shots der gleichen Kombination, womit das Feld der Nahrungsergänzungsmittel (NEM) erreicht ist.

Trotz bislang fehlender Studien wird Taurin hier, etwa in Pulverform oder in Kapseln, umfangreich beworben, unter anderem soll es dabei helfen, den Blutdruck zu regulieren oder auch den Cholesterinspiegel durch stärkeren Gallenfluss. Empfohlen wird es bei Arteriosklerose und Diabetes, bei Epilepsie und zur Mitbehandlung von Herzinsuffizienz und Herzrhythmusstörungen, unterstützend bei schlechter Leberfunktion. Fast möchte man meinen, es hilft immer und gegen alles, was aktuell relevant ist. Auch Wettkampfsportler nehmen in einem Mix mit weiteren Substanzen häufig NEM-Taurin zu sich.

Nun hat sich eine internationale Forschungsgruppe dem Thema systematisch genähert. Ihre Studie erschien kürzlich im Fachjournal »Science«. Bei verschiedenen Tieren – Mäusen und Affen – führte nämlich die Gabe von Taurin dazu, dass sie länger gesund und ohne altersassoziierte Krankheiten lebten. Mäuse wurden mit täglicher Tauringabe älter als Artgenossen, die es nicht bekamen.

Zudem haben frühere Studien, unter anderem von 2006 und 2016, gezeigt, dass die Taurinmengen im menschlichen Muskel- und Gehirngewebe im Alter abnehmen. In der aktuellen Studie wurde nun untersucht, wie hoch die Konzentration der Aminosäure im Blut von Ratten, Rhesusaffen und Menschen ist. Sie sinkt im Alter, auch nach diesen Ergebnissen. Umgekehrt wurde das durch Tauringaben bei Mäusen und Würmern (die als weiteres Tiermodell einbezogen wurden) – und verlängerte deren Lebensspanne. Funktionsverbesserungen von Knochen, Muskeln, Bauchspeicheldrüse, Gehirn, Darm und Immunsystem konnten ebenfalls nachgewiesen werden, wohlgemerkt bei den Tieren.

Erste Hinweise darauf, dass das bei Menschen ähnlich funktionieren könnte, fanden die Forscher bei der Untersuchung von Daten der Epic-Norfolk-Kohorte. Insgesamt hatten an dieser Erhebung mehr als eine halbe Million Menschen in 23 Studienzentren teilgenommen. Sie lief von 1992 bis 2000 und sollte eine Datenbasis zur Erforschung der Zusammenhänge zwischen Ernährung, Lebensweise, Stoffwechsel sowie Krebs und chronischen Erkrankungen liefern.

Die Daten der Kohorte, bezogen auf fast 12 000 Menschen, belegen, dass niedrige Taurinkonzentrationen mit Übergewicht, Typ-2-Diabetes und hohen Glukosewerten einhergehen, auch Entzündungsmarker und hohe Cholesterolwerte wurden in der Gruppe nachgewiesen. Besonders interessant erscheint hier der Befund, dass ein Belastungstest die Taurinlevel bei unterschiedlich trainierten Personen ansteigen ließ. Für die Autoren ein Hinweis auf einen weiteren Vorteil von sportlicher Betätigung.

Für wissenschaftliche Kommentatoren ertönen jedoch hier Alarmglocken: Sie sehen eher die Gefahr, dass der Zusammenhang so interpretiert werden könnte, Taurin als Mittel einzunehmen, um sich Sport zu sparen. »Allein auf den Taurinspiegel-erhöhenden Effekt kann man Sport oder Training niemals reduzieren. Körperliches Training hat vielfältige Auswirkungen auf verschiedensten Ebenen, die nicht auf Taurin zurückzuführen sind«, erklärte etwa Kristina Norman, die beim Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke die Abteilung Ernährung und Gerontologie leitet. Ähnlich sieht das Sebastian Grönke, der am Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns in Köln tätig ist: »Taurin wird häufig von Sportlern als Nahrungsergänzungsmittel eingenommen, und es gibt einige Studien, die auf einen positiven Effekt zum Beispiel auf die Laufleistung hinweisen«. Ganz gesichert sei das noch nicht, aber: »Es wäre interessant zu untersuchen, ob die Kombination von Taurin und Bewegung die Fitness besonders älterer Menschen verbessern kann.«

Weitere Studien sind nötig – das ist unisono der Kommentar der zur »Science«-Studie in Deutschland befragten Experten. Deren Bewertungen wurden vom Science Media Center Germany zusammengetragen. So sollten Studien mit Menschen vor allem Dosierung und Wirkung sowie auch mögliche Nebenwirkungen untersuchen, meint etwa die Ernährungswissenschaftlerin Norman. Auf die Komplexität der menschlichen Ernährung weist Clara Correia-Melo hin, die am Leibniz-Institut für Alternsforschung in Jena arbeitet. Unter anderem müsse »die Wirkung verschiedener Nährstoffkombinationen in unterschiedlichen Ernährungsweisen auf die positiven Auswirkungen von Taurin getestet werden«. Und nicht nur das, offen ist auch die Taurinzugabe als Wirkung auf Therapien. Hier gibt es noch ein großes Forschungsfeld, da nichts über die Wirkung von Taurin in Kombination mit medikamentösen Behandlungen bekannt ist.

Insofern ist Vorsicht geboten bei eigenen Experimenten mit Taurin, etwa in Energy-Drinks: Laut Grönke ist die Dosis darin zu gering, das zugleich enthaltene Koffein beschränke die Aufnahmemenge. Sicher bleibt: Sportliches Training, zumal regelmäßiges, erhöht nicht nur den Taurinspiegel im Blut, sondern auch die Konzentrationen der Botenstoffe Dopamin, Serotonin und Noradrenalin, die über die Aktivierung unseres Belohnungssystems die Stimmung verbessern und Stressgefühle vermindern.

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