Urlaubsgeld: Wie Gewohnheit schnell zur Pflicht wird

Ist die Zahlung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld »freiwillig«?

  • Frank Leth
  • Lesedauer: 3 Min.
Gehalt: Urlaubsgeld: Wie Gewohnheit schnell zur Pflicht wird

Die »freiwillige« Zahlung von Urlaubs- und Weihnachtsgeld kann für Arbeitgeber schnell zur Pflicht werden, entschied das Bundesarbeitsgericht (Az. 10 AZR 109/22) in einem am 17. April 2023 veröffentlichten Urteil. Auch wenn die Zahlung solcher Sonderzuwendungen laut Arbeitsvertrag freiwillig sein und keinen »Rechtsanspruch für die Zukunft begründen« soll, kann aus der regelmäßigen Zahlung ein gewohnheitsrechtlicher Anspruch entstehen, so das BAG in Erfurt.

Das betriebliche Gewohnheitsrecht wird als »betriebliche Übung« bezeichnet und führt zu einem vertragsähnlichen Anspruch der Arbeitnehmer. Dem Anspruch können Arbeitgeber entgehen, indem sie deutlich machen, dass etwa eine gezahlte Sonderzuwendung tatsächlich nur einmalig und freiwillig erfolgt ist. Das zu formulieren ist nicht immer so einfach.

Im Streitfall war der Kläger seit Mitte Juli 2014 in einem Unternehmen im Raum Villingen-Schwenningen beschäftigt. Laut seinem Arbeitsvertrag steht die Zahlung von Sonderzuwendungen, insbesondere Weihnachts- und Urlaubsgeld, »im freien Ermessen des Arbeitgebers und begründet keinen Rechtsanspruch für die Zukunft«. In den Jahren 2015 bis 2019 zahlte der Arbeitgeber seinen Mitarbeitern ohne weitere Erklärung jährlich Urlaubs- und Weihnachtsgeld. 2019 erhielt der Kläger insgesamt rund 3000 Euro brutto. Ein Jahr später gab es wegen wirtschaftlicher Schwierigkeiten keine Zuwendungen mehr.

Der Kläger meinte, dass ihm das Geld dennoch zustehe. Durch die wiederholte Zahlung über mehrere Jahre sei eine »betriebliche Übung« entstanden, sodass er nun einen Rechtsanspruch darauf habe. Der Freiwilligkeitsvorbehalt im Arbeitsvertrag sei unwirksam, so seine Argumentation. Der Arbeitgeber vertrat dagegen die Auffassung, die Vertragsklausel der Freiwilligkeit sei wirksam und habe das Entstehen einer »betrieblichen Übung« verhindert.

Das BAG gab dem Kläger Recht. Er habe Anspruch auf die Zahlung. Wiederhole ein Arbeitgeber regelmäßig eine bestimmte Verhaltensweise, könne eine »betriebliche Übung« entstehen. Der Arbeitnehmer könne daraus verbindlich schließen, dass der Arbeitgeber ihm bestimmte Leistungen dauerhaft auch für die Zukunft gewähren wolle. So liege eine »betriebliche Übung« vor, wenn der Arbeitgeber mindestens dreimal vorbehaltlos eine Gratifikation an die gesamte Belegschaft gezahlt habe. Etwas anderes gelte nur dann, wenn der Arbeitgeber weitere Zahlungen für die Zukunft eindeutig ausgeschlossen habe.

Eine »betriebliche Übung« liege in diesem Streitfall auch vor, obwohl die über Jahre gezahlten Beträge unterschiedlich hoch gewesen seien. Zwar hatte der Arbeitgeber im Arbeitsvertrag auf die Freiwilligkeit der Zahlung hingewiesen. Das sei jedoch unwirksam, befand das BAG. Denn mit der arbeitsvertraglichen Klausel schließe der Arbeitgeber Ansprüche generell aus, und zwar auch dann, wenn mit dem Arbeitnehmer später Individualvereinbarungen über Sonderzuwendungen getroffen werden. Künftige Individualvereinbarungen müssten aber möglich sein. Wegen der Unwirksamkeit der Klausel bestehe eine »betriebliche Übung« und ein Anspruch auf die Sonderzahlung.

Bereits am 20. Februar 2013 hatte das Bundesarbeitsgericht (Az. 10 AZR 177/12) einem Arbeitnehmer ebenfalls Urlaubs- und Weihnachtsgeld wegen des Bestehens einer »betrieblichen Übung« zugesprochen. Hier hatte der Arbeitgeber einerseits im Arbeitsvertrag auf die Freiwilligkeit der Zahlung hingewiesen und darauf, dass auch für die Zukunft kein Rechtsanspruch besteht, andererseits wurde die Sonderzuwendung laut Arbeitsvertrag »gewährt«. Das sei als feste Zusage zu verstehen, so das BAG. Wegen der Widersprüchlichkeit sei die Arbeitsvertragsklausel unwirksam.  epd/nd

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