Australien ebnet Weg für historisches Referendum

Parlament beschließt Volksentscheid für Verfassungsänderung zur Stärkung der Rechte von Indigenen

  • Barbara Barkhausen, Sydney
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Senatorinnen und Senatoren im Parlament in Canberra brachen am Montag in spontanen Applaus aus: Eine deutliche Mehrheit hatte für einen Gesetzesentwurf gestimmt, der den Weg für ein Referendum ebnet. Die Abstimmung soll 2023 zu einem historischen Jahr für Australien machen. Denn das Referendum soll eine Verfassungsänderung ermöglichen, um eine »indigene Stimme« im Parlament einzurichten. Dies ist ein Beratungsgremium aus Indigenen, das das australische Parlament und die Regierung in Angelegenheiten unterstützen soll, die die Ureinwohner des Landes betreffen.

Es wird das erste Mal seit mehr als zwei Jahrzehnten sein, dass das Land wieder ein Referendum abhält, und seit mehr als einem halben Jahrhundert geht es dabei erstmals wieder um ein indigenes Thema: 1967 stimmte das australische Volk dafür, die indigene Bevölkerung bei Volkszählungen mitzuzählen. Damit wurden den Ureinwohnern erstmals Bürgerrechte eingeräumt.

Premierminister Anthony Albanese zeigte sich nach der erfolgreichen Senatsabstimmung – das Repräsentantenhaus hatte bereits Ende Mai zugestimmt – erfreut: »Jetzt wird das australische Volk die Chance haben, Ja zu sagen. Gemeinsam können wir Geschichte schreiben, indem wir die Anerkennung der Aborigines und der Bewohner der Torres-Strait-Inseln in unserer Verfassung verankern.« Albanese muss nun einen Termin für das Referendum festlegen, das frühestens in zwei und spätestens in sechs Monaten erfolgen darf. Australische Medien tippen auf einen Termin im Oktober.

Australien könnte Geschichte schreiben

Für Albanese ist das Referendum ein »Herzensprojekt«. Denn mit der Verfassungsänderung würden die Ureinwohner erstmals als erste Bewohner Australiens in der Verfassung Anerkennung finden. Sollte die Abstimmung scheitern, wäre dies nicht nur ein Imageverlust für Australien, es würde auch die Regierung schwächen. Aktuelle Umfragen zeigen, dass die Zustimmung zu dem Projekt in der Bevölkerung seit August 2022 stetig abgenommen hat. Auch die Statistik spricht nicht für die Pläne des Premierministers: Seit 1901 hatten nur acht von 44 Volksentscheiden Erfolg.

Außer der konservativen Opposition sind es vor allem Stimmen aus den indigenen Reihen, die sich gegen das neue Gremium aussprechen. Vor der Abstimmung kam es erneut zu einer leidenschaftlichen Debatte im Plenarsaal, bei der die unabhängige indigene Senatorin Lidia Thorpe von »einem glücklichen Tag der Assimilation« sprach.

»Besänftigung weißer Schuld«

In ihren Augen wäre ein derartiges Beratungsgremium wie die »indigene Stimme« kaum mehr als »die Besänftigung weißer Schuld«. Sie spricht damit für eine Fraktion unter den Indigenen, die die »Voice to Parliament«, wie sie im Englischen heißt, mehr für ein machtloses Konstrukt oder »ein nettes Stück Symbolik« halten, während praktische Reformen überfällig sind.

Malarndirri McCarthy, Fraktionsvorsitzende der regierenden Labor-Partei und ebenfalls eine Indigene, sagte dagegen, trotz unterschiedlicher Ansichten wolle die Mehrheit der »First Nations«, also der ersten Völker, die Australien einst besiedelten, dass die Stimme im Parlament eingerichtet werde. Auch Linda Burney, ihres Zeichens Ministerin für indigene Angelegenheiten, schrieb auf Twitter, dass auf diese Weise eine bessere Zukunft für Aborigines und die Bewohner der Torres-Strait-Inseln geschaffen werden könne.

Regierungschef Albanese hatte bereits vor Monaten betont, dass sein Land »sich nicht zwischen der Verbesserung des Lebens der Menschen und der Änderung der Verfassung entscheiden« müsse. Vielmehr solle Australien diese Chance für bedeutsame Veränderungen mit »Demut und Hoffnung« angehen. Die vergangenen 200 Jahre seien »voller gebrochener Versprechen, Verrat, Fehlschläge und Fehlstarts« gewesen. Allzu oft wäre die Kluft zwischen den Versprechen der Weißen und den Taten der jeweiligen Regierungen »so groß wie dieser Kontinent« gewesen. Doch jetzt verspüre er Hoffnung – in seinen Augen sei der richtige Moment gekommen.

Indigene bleiben benachteiligt

Themen, bei denen ein neues Beratungsgremium für mehr Aufmerksamkeit im Parlament kämpfen könnte, gäbe es ausreichend: Der »Closing the Gap«-Report, der einmal im Jahr über die Fortschritte bei der Gleichstellung der indigenen Bevölkerung berichtet, zeigte im Juli 2022, dass nur vier von insgesamt 17 Zielen auf Kurs sind: Mehr indigene Babys werden inzwischen mit einem gesunden Geburtsgewicht geboren. Fortschritte konnten auch bei der frühkindlichen Bildung erzielt werden sowie bei den indigenen Land- und Seerechten. Auch bei den Jugendhaftraten hat sich die Tendenz verbessert.

Wenig Erfolg hatte man bisher dabei, die Selbstmordrate in der indigenen Bevölkerung zu senken. Und nach wie vor sitzen verhältnismäßig viele erwachsene Indigene Haftstrafen im Gefängnis ab, und zu viele »First Nations«-Kinder sind in Fremdbetreuung und nicht bei ihren Familien.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal