Israel baut eine Siedlung nach der anderen

Die ultrarechte israelische Regierung lässt sich nicht beirren in ihrem Kurs, weiter illegale Siedlungen im besetzten Westjordanland zu erlauben

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Israelische Siedler waren gerade dabei, mehrere palästinensische Ortschaften zu verwüsten, als mehrere hundert weitere Siedler einen unscheinbaren Hügel in der Nähe von Nablus besetzten: Evyatar, ein strategisches Juwel. Benannt nach Evyatar Borovsky, der 2013 an einer nahe gelegenen Kreuzung erstochen wurde, liegt der Hügel zwischen zwei kleineren Land-Inseln, die unter Kontrolle der Palästinensischen Autonomiebehörde stehen und durch einen Landstrich unter israelischer Sicherheitskontrolle getrennt werden. Schon seit Mai 2021 versucht die Siedler-Bewegung deshalb, hier eine neue Siedlung zu errichten: Immer wieder richten sich Hunderte, teils Tausende hier ein und müssen dann wieder abziehen, weil das auch nach israelischem Recht unzulässig ist.

Doch nun scheinen sich die Rahmenbedingungen zu ändern: In Israel herrscht eine ultrarechte Regierung, in der die Siedlerbewegung mit den rechtsradikalen »Religiösen Zionisten« vehemente Unterstützer hat. Und die setzen auf Siedlungsbau. Auf ihren Druck hin stimmt Regierungschef Benjamin Netanjahu immer wieder dem Bau von mehr Wohnungen in bestehenden Siedlungen zu, der Legalisierung von ohne Genehmigung gebauten Klein-Siedlungen nach israelischem Recht. Denn völkerrechtlich bleiben die Siedlungen illegal, da sind sich auch die meisten israelischen Rechtsexperten einig.

Jüngst habe die israelische Regierung beschlossen, Verwaltungsvorschriften bei der Genehmigung neuer Bauvorhaben zu reduzieren, sagte ein ranghoher israelischer Beamter, der anonym bleiben wollte, der Nachrichtenagentur AFP. Demnach würde der Verwaltungsaufwand für die Genehmigung von Siedlungen im Westjordanland reduziert. Der UN-Nahostbeauftragte Tor Wennesland hat die israelische Regierung vor diesen beschlossenen Lockerungen beim Siedlungsbau gewarnt. »Ich bin zutiefst besorgt über die (...) Entscheidung der israelischen Regierung, die seit 1996 geltenden Verfahren zur Siedlungsplanung zu ändern«, hieß es in einer von Wenneslands Büro verbreiteten Erklärung. Die Entscheidung werde wahrscheinlich den Ausbau von Siedlungen beschleunigen.

Die Folgen sind fatal für Israel und für die Palästinenser. Schon ein Blick auf die politische Landkarte zeigt deutlich: Die Anfang der 90er Jahre geschlossenen Osloer Verträge haben zu einem Flickenteppich aus Gebieten geführt, in denen mal die Palästinensische Autonomiebehörde, mal Israel, mal beide die Kontrolle haben. Und dort, wo Israels Regierung das Sagen hat, sind in den vergangenen gut 30 Jahren immer mehr Siedlungen hinzugekommen, meist so gelegen, dass es selbst den optimistischsten Vermittlern schwer fällt, zu erklären, wie daraus jemals ein funktionsfähiges Staatsgebiet entstehen soll. Oder: Wie man diese Siedlungen jemals in vertretbarer Zeit wieder räumen soll.

Für Israel ist das problematisch, weil damit von Tag zu Tag mehr Unterstützung in der internationalen Gemeinschaft verloren geht. Israel sei auf dem Weg zum »Apartheidstaat«, sagte der ehemalige UN-Generalsekretär Ban Ki Moon der Nachrichtenagentur AP nach einer Reise in die Region. In seiner gesamten Zeit im Amt habe er im Westjordanland keine solche Trostlosigkeit erlebt. Deutliche Worte fand auch sein Nachfolger Antonio Guterres: Der Siedlungsbau stelle eine eklatante Verletzung des Völkerrechts dar. Guterres hat vergangenen Woche Israels rechts-religiöse Regierung aufgefordert, »alle Siedlungsaktivitäten in den besetzten palästinensischen Gebieten unverzüglich und vollständig einzustellen«.

Und nahezu wöchentlich reisen derzeit Vertreter*innen der ägyptischen und jordanischen Sicherheitsdienste nach Israel – offiziell, um Vereinbarungen auszuhandeln zwischen Israels Regierung und den beiden großen militanten Palästinenser-Organisationen Hamas und Islamischer Dschihad. Doch tatsächlich geht es darum, den eigenen Standpunkt klar zu machen: Israel solle sich endlich wie ein guter Nachbar benehmen, sagt ein Mitarbeiter der ägyptischen Botschaft. Jordanien hat einen großen palästinensischen Bevölkerungsanteil und in Ägypten hat immer noch die mit der Hamas eng verbundene Muslimbruderschaft großen Einfluss. Man befürchtet Unruhen. Und dass man letzten Endes die Partnerschaft mit dem strategisch wichtigen Israel auf Eis legen muss.

Netanjahu versucht es indes mit Baby-Schritten, stellt den Bau eines Seehafens und eines Flughafens in Gaza in Aussicht. Will den Menschen im Norden des Westjordanlands den Warenexport erleichtern. Nur: »Das glaubt ihm doch niemand mehr; das bekommen wir doch schon seit Jahren zu hören«, wird der palästinensische Ministerpräsident Mohammad Schtajjeh in einheimischen Medien zitiert.

So frustriert sind viele in der internationalen Gemeinschaft mittlerweile, dass auch das Undenkbare zumindest hinter vorgehaltener Hand ausgesprochen wird: Man könnte auch einfach die Unterstützungszahlungen für die Autonomieverwaltung einstellen. Denn die Erkenntnis macht die Runde, dass der Siedlungsbau nur möglich ist, weil die internationale Gemeinschaft die immer weniger alleine überlebensfähige Autonomieverwaltung am Leben hält. Und damit Israels Regierung einen erheblichen Teil der Kosten der Besatzung erspart.

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