Potsdamer Pfingstberg: Jüdischer Friedhof lange ohne Frieden

Begräbnisstätte am Potsdamer Pfingstberg wird erweitert

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 5 Min.
Auf dem jüdischen Friedhof am Potsdamer Pfingstberg
Auf dem jüdischen Friedhof am Potsdamer Pfingstberg

Auf eine besondere Weise blickt in der Trauerhalle auf dem Potsdamer Jüdischen Friedhof die Geschichte den Betrachter an. Eine Tafel ist dort angebracht, auf der die Namen der jüdischen Soldaten Potsdams stehen, die im Ersten Weltkrieg »für ihr Vaterland Deutschland« starben. Diese Männer wurden aber nicht dort beerdigt, sondern, wenn überhaupt, auf einem Soldatenfriedhof an der Front. Unweit dieser Tafel wurde in der Trauerhalle eine zweite angebracht. Sie vermerkt die Namen von Juden, die im Zweiten Weltkrieg in den sowjetischen Streitkräften gekämpft hatten und überlebten. Darunter sind auch die Namen mehrerer Frauen. Nach 1990 waren diese Juden nach Potsdam gezogen. Hier sind sie irgendwann gestorben und auf dem jüdischen Friedhof am Potsdamer Pfingstberg beigesetzt worden.

Geschichte wurde auf eine kaum vergessliche Weise lebendig, als die Historikerin und Judaistin Anke Geißler-Grünberg kürzlich im Auftrag der Rosa-Luxemburg-Stiftung Brandenburg eine Gruppe Interessierter über diesen Friedhof führte, der 1977 unter Denkmalschutz gestellt worden war. Der jüdische Totenkult, so erfuhren die Zuhörer, kenne kein Einebnen von Gräbern und schon gar keine Neubelegung, wie das auf christlichen Friedhöfen üblich sei. »Das Grab gehört in alle Ewigkeit demjenigen, der darin liegt.« Alle Grabsteine sind nach Südosten ausgerichtet, nach Jerusalem.

Letzter Jude blieb nicht der letzte

Ende der 80er Jahren erschien in der Tageszeitung »Märkische Volksstimme« das Porträt von Theodor Goldstein, der als letzter Jude Potsdams vorgestellt wurde. Nach dem Kenntnisstand der damaligen Zeit wäre sein Ableben das definitive Ende des jüdischen Lebens in Potsdam gewesen. Goldstein starb 1994. Damals setzte die Zuwanderung von Juden aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion ein. Heutzutage gibt es fünf verschiedene jüdische Gemeinden in Potsdam. Der nach 1990 belegte Teil des Friedhofs ist schon lange nicht mehr der kleinste.

Vor einigen Wochen stimmte die Stadt einer Friedhofserweiterung zu. Laut der Judaistin Geißler-Grünberg kommen 1500 Quadratmeter hinzu, ausreichend für weitere 360 Grabstellen. Bei dieser Gelegenheit soll auch ein neues Wirtschaftsgebäude entstehen, eventuell durch Umbau eines vorhandenen Gebäudes. Es handelt sich bei dem Zugewinn um Pachtland, das der Gemeinde gehört und auf dem sich zurzeit noch Kleingärten befinden, die weichen müssen. »Die Pächter wussten von Anfang an um die geplante Nachnutzung«, sagte Geißler-Grünberg.

Der Friedhof war 1910 schon einmal auf 9000 Quadratmeter vergrößert und um die Trauerhalle und ein Gärtnerhaus ergänzt worden. Als jüdischer Friedhof diente das Gelände ab 1743. Kurz zuvor hatte die Zahl männlicher Juden in Potsdam die Zehn erreicht. So viele müssen es mindestens sein, um eine vollwertige jüdische Gemeinde zu bilden. Zuvor hatten die Potsdamer Juden ihre Toten zur Beerdigung nach Berlin überführen müssen – bei den damaligen Straßenverhältnissen eine äußerst mühselige Angelegenheit. Der Berg neben dem Friedhof hieß dann im Volksmund der »Judenberg«, bis eines schönen Pfingsttages Anfang des 19. Jahrhunderts Königin Luise dort lustwandelte. Seither trägt die Erhebung mit dem Schloss Belvedere darauf die Bezeichnung Pfingstberg.

Die Nazizeit überstanden

Die Nazizeit hat der verhältnismäßig abseits gelegene Friedhof überstanden – im Unterschied zur Synagoge in der Innenstadt. Es gab aber 1938 Verwüstungen und Plünderungen in der Trauerhalle . Anfang der 40er Jahre seien, im Rahmen einer »Reichsmetallspende«, die dafür verwendbaren Gegenstände vom Gelände des jüdischen Friedhofs geraubt worden. Viele Grabsteine in dem Friedhofsbereich, der ab 1850 belegt wurde, waren damals mit Metallplatten versehen. Sie sind nicht mehr vorhanden. Es lässt sich darum nicht mehr ablesen, wer hier jeweils bestattet wurde. Eine Ausnahme ist die imposante Grabmauer der Familie Kann. Für sie haben sich in einem Archiv noch Bauunterlagen gefunden, sodass dieses Grab aufwendig rekonstruiert werden konnte.

Als Mitte des 18. Jahrhunderts die ersten Potsdamer Juden hier begraben wurden, wurden die Inschriften noch in hebräischer Schrift verfasst, die Grabsteine wiesen den typischen Rundbogen auf. In späteren Jahrzehnten fand zunehmend die deutsche Sprache Verwendung. Auch die Gestaltung der Grabplatten – alle wurden von nichtjüdischen Steinmetzen angefertigt – wandelte sich. Granit trat an die Stelle des Sandsteins. Blumen wie im Christentum haben für jüdische Gräber keine Tradition. Es werden üblicherweise Steine als Ewigkeitssymbole auf den Grabstein gelegt. Aber auch in diesem Punkt setzte ein Wandel ein. Die aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion eingewanderten Juden brachten ihre Vorstellungen von Grabgestaltung und -pflege mit. So finden sich mittlerweile jede Menge Blumen im neusten Teil des jüdischen Friedhofs.

Eine Garantie ihrer Totenruhe hatten die Juden Potsdams praktisch zu keiner Zeit. An alten Steinen lässt sich die Inschrift oft nicht mehr entziffern, was laut Geißler-Grünberg weniger auf Verwitterung als vielmehr auf absichtsvolles Ausmeißeln zurückzuführen ist. Auch aus den Jahren der preußischen Könige sind Berichte überliefert, wonach die Behörden Störungen und Schändungen unterbinden mussten oder sollten. Anfang der 1980er Jahre gab es einen antisemitischen Übergriff auf den Friedhof. Die Täter beschädigten mehrere Grabstellen und wurden nie gefasst.

Am 29. Juni um 18 Uhr stellt Anke Geißler-Grünberg ihr Buch über den Jüdischen Friedhof von Potsdam vor, Rosa-Luxemburg-Stiftung, Dortustraße 53 in Potsdam.

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