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Wahlen in Guatemala: Simulation der Demokratie
In Guatemala erreichte Außenseiter Bernardo Arévalo überraschend die Stichwahl
Die Stimme von Lucas Emanuel Pérez González zerschneidet das ruhige Surren und Murmeln im Wahlraum 6. Er zeigt auf seinen Personalausweis und dann auf das Foto neben seinem Namen in der Liste. »Das bin nicht ich. Da sind Duplikate in der Wahlliste. Das ist alles ein riesiger Betrug, seit Beginn dieser Wahl«, so Pérez González inmitten von Wahlhelfer*innen, Polizist*innen und Mitbürger*innen.
Er hat keine Angst. Mit ihr lebt er täglich. Überrascht ist er auch nicht. Mit erhobenem Ausweis und fester Stimme stellt sich der 46-Jährige vor den Eingang des Wahlraums, wo eine lange Schlange hoffnungsloser Gesichter wartet. »Wir werden alle untergehen, wenn sich niemand wehrt. Leute, da sind Duplikate in den Wahllisten!«, richtet er das Wort an die apathisch blickende Menge. Mit einem Beamten der lokalen Staatsanwaltschaft geht er rüber, die beiden setzen sich auf weiße Plastikstühle. Es folgt eine Anzeige des möglichen Betrugs. Dass irgendwas daraus resultiert, daran glaubt Pérez González nicht. Er vertraue niemandem, nicht der Polizei, nicht der Staatsanwaltschaft, nicht der Politik.
Hier in der Zone 18, weit außerhalb des Zentrums der Hauptstadt, hoffen die Menschen auf nichts mehr. Kriminelle Banden, die sogenannten Maras, kontrollieren das Territorium. Sie bestimmen den Alltag, töten, erpressen, agieren unter dem wegsehenden Blick der korrupten Exekutive. »Die Verbrecher töten hier in Seelenruhe Menschen. Die Polizei macht nichts. Das ist unser Alltag hier«, erzählt der 46-Jährige. Die prekäre Sicherheitslage ist eines der wichtigsten Themen dieser Wahl.
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Guatemala wählt, doch eine echte Chance auf einen Wechsel gibt es nicht. Internationale Wahlbeobachter*innen, die im Zentrum anzutreffen sind, haben es nicht bis in die Peripherie geschafft. Hier werden die Menschen mit ihren Problemen alleingelassen. Von der Politik, der Polizei, der Justiz. Die Resignation steht den Menschen ins Gesicht geschrieben – noch bevor sie ihr Kreuz setzen. Schulterzucken, Abwinken und Kopfschütteln sind die drei Gesten, die das Gefühlsleben der Guatemaltek*innen um diese Wahl wohl am besten beschreiben. Worte bedarf es kaum. Die Menschen wissen bereits, dass ihr Urnengang nichts bewirken wird. Die mächtige Oligarchie des Landes, der »Pakt der Korrupten«, wie Kritiker*innen es nennen, hat Guatemala im Würgegriff.
Die ehemalige First Lady Sandra Torres führt die Teilauszählung der Stimmen bei den Wahlen in Guatemala an. Bei 96,25 Prozent der ausgewerteten Stimmen hat die Kandidatin der Nationalen Einheit der Hoffnung (UNE) gut 15 Prozent der Stimmen auf sich vereinigt, gefolgt von Bernardo Arévalo von der Bewegung Semilla (Samen), einer im Mitte-links-Spektrum angesiedelten Partei, mit knapp zwölf Prozent der Stimmen. Die Wahlbeteiligung lag mit 59 Prozent um beachtliche 21 Prozentpunkte über den 38 Prozent bei den vergangenen Wahlen 2019 in der ersten Runde. Allerdings wählten 17,4 Prozent ungültig – mehr Stimmen erhielt niemand.
Vor Mitternacht, als sie schon seit Stunden auf dem zweiten Platz lagen, hielten Arévalo und seine Vizepräsidentschaftskandidatin Karin Herrera eine Pressekonferenz ab, auf der sie betonten, dass dieses Ergebnis eine deutliche Absage an die Art und Weise sei, wie in Guatemala bisher Politik gemacht wurde. »Wir glauben, dass die Wähler die Nase voll haben und des korrupten politischen Systems überdrüssig sind«, sagte Arévalo. »Die Wähler suchen nach einer anständigen und glaubwürdigen Alternative.
Auf den Plätzen folgen Manuel Conde von der Regierungspartei Vamos und an vierter Stelle Armando Castillo von Vivir. Der Diplomat Edmond Mulet und die ehemalige Kongressabgeordnete Zury Ríos, Tochter des Diktators Efraín Ríos Montt, die in den Umfragen an zweiter und dritter Stelle lagen, rangieren abgeschlagen an fünfter und sechster Stelle.
«Wir wissen nicht, mit wem, aber wir sind bereit, die Stichwahl zu gewinnen und mich zur ersten Präsidentin Guatemalas zu machen», sagte Sandra Torres auf einer mitternächtlichen Pressekonferenz, auf der sie ihren Einzug in die zweite Runde als selbstverständlich ansah. Sie kritisierte auch die Langsamkeit der manuellen Nachzählung trotz der Investitionen des Obersten Wahlgerichts in die Verbesserung des Auszählungssystems.
Progressive Kräfte lässt der autoritär regierende Staat ohnehin nicht zu: Das Verfassungsgericht schloss das Kandidatenduo Thelma Cabrera, indigene Leaderin, und Jordán Rodas, Ex-Ombudsmann für Menschenrechte, von der Wahl aus. Die beiden gehören dem erfolgversprechenden linken Projekt «Bewegung für die Befreiung der Völker» (MLP) an.
Doppelte Wahlzettel, verbrannte Kisten mit Zetteln, Wahlzettel ohne Stempel oder mit falschem Datum: Die Liste an Unregelmäßigkeiten bei dieser Wahl ist lang und absurd. In einigen Zentren gab es zudem Attacken von bisher unbekannten Personen mit Molotow-Brandbomben. Die Wahltags-Ausgabe der Zeitung «Prensa Libre» verrät, dass die rund 9,3 Millionen Wahlberechtigten laut einer Umfrage des Mediums zu 75 Prozent «nicht glauben, dass der Prozess sauber und transparent verläuft».
Dieses Misstrauen kletterte hoch. 2019, bei den vergangenen Wahlen, glaubten noch immerhin 57 Prozent an einen fairen demokratischen Ablauf. Für Lucas Emanuel Pérez González, der inmitten von Ganggewalt lebt, ist klar: «Die internationale Gemeinschaft muss involviert werden.» Er empfiehlt den in den Schlangen wartenden Mitbürger*innen die Nichtwahl. Werden 50 Prozent Nichtwählerstimmen erreicht, müssten die Wahlen wiederholt werden.
Doch so weit kommt es nicht. Der «Pakt der Korrupten», der sich wie ein unsichtbarer Dunstschleier über Guatemala gelegt hat, untergräbt jede Rechtsstaatlichkeit – und hat diese Wahl zu einer Simulation der Demokratie verkommen lassen.
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