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Thüringen: Höchststand bei rassistischer und rechter Gewalt

Forscher und Engagierte sehen wachsende Probleme mit völkischer Stimmungsmache und »antidemokratischer Protestmobilisierung«

  • Sebastian Haak, Erfurt
  • Lesedauer: 3 Min.

Romy Arnold macht zu Anfang einen kleinen Scherz – der eher eine Empfehlung vor dem Hintergrund bitterer Erkenntnisse ist. Liberal denkende Menschen in Thüringen könnten »schon mal gucken, in welchem anderen Bundesland es auch schön ist«, sagte die Leiterin des Thüringer Demokratieberatungsprojekts Mobit anlässlich der Veröffentlichung des zum dritten Mal vorgelegten Sammelbands »Thüringer Zustände 2022«. Thema des am Dienstagabend veröffentlichten Jahresberichts sind »Rechtsextremismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit« im Freistaat.

Die Herausgeber sehen die Publikation als Ergänzung zu dem, was etwa Polizei und Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) an Informationen verbreiten. Kurz nach dem Sieg des AfD-Kandidaten Robert Sesselmann bei der Landtagswahl in Sonneberg ist die Stimmung bei der Präsentation gedrückt. Schließlich sieht selbst das LfV die Thüringer AfD als »erwiesen rechtsextrem« an. Angesichts dessen, dass sie bei der Landtagswahl 2024 mit Abstand stärkste Partei werden könnte, warnen die Verfasser des Bandes vor einer »massiven Krise für die Demokratie mit bundesweiter Ausstrahlung«.

Mobit gibt den Bericht gemeinsam mit der Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen, Ezra, dem Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena und dem Zentrum für Rechtsextremismusforschung, Demokratiebildung und gesellschaftliche Integration der Universität Jena heraus.

Wirklich neue Fakten sind in dem Band nicht enthalten, das räumt auch der wissenschaftliche Leiter des IDZ, Axel Salheiser, ein. Nahezu alles, was in den Aufsätzen geschildert wird, ist wiederholt öffentlich thematisiert worden. So der deutliche Anstieg rechter und rassistischer Übergriffe oder die Tatsache, dass bei den Montagsdemonstrationen viele gut Situierte aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft unterwegs sind. Oder die Feststellung, dass die AfD in Thüringen inzwischen andere Parteien am rechten Rand marginalisiert hat.

Und doch sind die Analysen wichtig, weil sie die Ursachen für gesellschaftliche Tendenzen aufzeigen. Der Wahlerfolg der AfD in Sonneberg, sagt Arnold, sei ein Beispiel dafür, dass die im Sammelband beschriebenen Mobilisierungsstrategien der Partei erfolgreich waren. »Die AfD befindet sich gerade im ländlichen Raum seit Jahren im Dauerwahlkampf«, konstatiert sie. Deren Vertreter seien dort mit Infomobilen, Ständen, Bürgerstammtischen regelmäßig vor Ort. »Das schafft sonst keine Partei«, stellt Arnold fest.

Sie und Franz Zobel, Projektkoordinator bei Ezra, kritisierten die staatlichen Institutionen scharf. Aus ihrer Sicht entpuppen sich Reden von der gegenüber rechten Verfassungsfeinden »wehrhaften Demokratie« vielfach als Lippenbekenntnisse. »Ich sehe gerade nicht, dass man einen glaubhaften Paradigmenwechsel im Kampf gegen die extreme Rechte einläutet«, sagt Zobel. Noch immer werde zum Beispiel über die Bildung einer Schwerpunktstaatsanwaltschaft zur Verfolgung von Hasskriminalität in Thüringen nur geredet, statt endlich zu handeln. Zobel macht für den dokumentierten Höchststand bei rassistischer und rechter Gewalt in Thüringen die »rassistische Stimmungsmache gegen Geflüchtete, die vor allem von der extrem rechten AfD« ausgehe, verantwortlich. Doch auch Kommunalpolitiker demokratischer Parteien trügen zur Eskalation bei, indem sie »rassistische Narrative reproduzieren«.

Zu denen, die bei einem weiteren Erstarken der AfD darüber nachdenken, Thüringen oder gleich Deutschland insgesamt den Rücken zu kehren, gehört übrigens auch Thüringens Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer. Sollte die AfD an einer Regierung beteiligt werden, würde er die Bundesrepublik noch am selben Tag mit seiner Familie verlassen, sagte er in einem am Dienstagabend ausgestrahlten Interview mit dem israelischen Kan-Sender. Kramer war von 2004 bis 2014 Generalsekretär des Zentralrats der Juden.

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