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Krankenhausreform: Gewinne gegen Gesundheit

Der Gesundheitsminister verspricht eine Revolution, Länder und Interessensgruppen zerpflücken die Reform

  • Arndt Dohmen
  • Lesedauer: 5 Min.
Warten auf den Arzt, warten auf die Reform – Patienten brauchen Geduld.
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Betriebswirtschaftliche Erwägungen beeinflussen medizinische Entscheidungen: Kostensenkung durch Personalabbau, Operationen ohne medizinische Notwendigkeit, Outsourcing von Reinigung und Küche – die Gesundheit von Patient*innen und Personal hat unter der Ökonomisierung der Krankenhäuser gelitten. Fast 20 Jahre nach Einführung der Fallpauschalen, für die er mit verantwortlich ist, erkennt Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die Fehlanreize und verspricht ein Ende der Ökonomisierung. Mit der Krankenhausreform soll nun alles besser werden; sogar den dramatisch zunehmenden Schließungen kleiner Krankenhäuser auf dem Land soll Einhalt geboten werden.

Alle bisherigen Reformvorhaben sind allerdings gescheitert – im Interview der »Tagesthemen« benannte der Minister als Grund dafür sogar konkret den Widerstand mächtiger Lobbygruppen, darunter die Klinikkonzerne, die mit dem aktuellen System gewaltige Gewinne erwirtschaften.

Lauterbach will das System revolutionieren, den ökonomischen Druck von den Krankenhäusern nehmen und die Patient*innen wieder ins Zentrum der Behandlung stellen. Dazu hat eine »unabhängige Regierungskommission« von 17 Expert*innen Vorschläge zur Krankenhausreform entwickelt. An deren Unabhängigkeit gab es aber bereits Zweifel. Heidemarie Haeske-Seeberg beispielsweise ist als Leiterin des Qualitätsmanagements der Sana Kliniken AG, eines der vier größten privaten Krankenhauskonzerne, möglicherweise nicht ganz unvoreingenommen. Mit bisher fünf Stellungnahmen zu unterschiedlichen Themen des geplanten Gesetzespakets hat die Kommission ein atemberaubendes Tempo vorgelegt.

Level-I-Krankenhäuser sollen für die Grundversorgung zuständig sein. Level-1n- Krankenhäuser sollen Abteilungen für Innere Medizin, Chirurgie und Notfallversorgung anbieten, Level-1i-Krankenhäuser als Schnittstelle zwischen stationärer und ambulanter Behandlung ohne Notfallversorgung fungieren. Die Level-1i-Krankenhäuser sollen ohne Fallpauschalen, stattdessen mit Tagessätzen finanziert werden, die ihre tatsächlichen Kosten widerspiegeln. Diese Tagessätze sollen jedes Jahr regional neu zwischen Krankenhäusern und Kostenträgern verhandelt werden. Diese Krankenhäuser sollen für die Ausbildung von Pflegeberufen und Ärzt*innen besondere Bedeutung erhalten und diese Aufgabe in enger Kooperation mit einem Krankenhaus eines höheren Levels erfüllen. Das soll eine bessere Fachkräfteausstattung in der medizinischen Grundversorgung sicherstellen.

Level-II-Krankenhäuser sollen als Schwerpunktkliniken ein breiteres Spektrum an Fachabteilungen vorhalten und Behandlungen mit höherem Spezialisierungsgrad anbieten. Zudem sollen sie auch für kompliziertere Notfallversorgung ausgerüstet sein. Ihnen gleichgestellt sollen als Level f Spezialkliniken zugelassen werden, an denen Behandlungen für spezielle Fachgebiete durchgeführt werden, auch wenn sie nicht alle Kriterien des Levels II erfüllen. Level-III-Krankenhäuser sind als Maximalversorger mit vielen Fachabteilungen und Spezialisierungen gedacht, die auch die höchste Stufe III der Notfallversorgung vorhalten müssen. Universitätskliniken werden in dieser Gruppe als Level IIIU noch besonders herausgehoben, mit zusätzlichen Koordinierungsaufgaben für die Versorgungsregion.

Diese Vorschläge haben in den Beratungen des Ministers mit den Bundesländern allerdings bereits reichlich Federn lassen müssen. Die Krankenhausfinanzierung ist im deutschen Föderalismus Ländersache – nach zwei Treffen und Eckpunktepapieren von Bundes- und Länderministerien ist der ursprüngliche Reformplan zerpflückt. Die verschiedenen Level für die Krankenhäuser sind im Rahmen der Bund-Länder-Verhandlungen als verpflichtendes Element der Reform nicht in die Eckpunktepapiere übernommen worden und haben für die Länder allenfalls noch Empfehlungscharakter.

Das zentrale Element für die Planung ist eine Zuteilung von verschiedenen Leistungsgruppen an die Krankenhäuser. Leistungsgruppen fassen Krankheiten zusammen, deren Behandlung einen vergleichbaren personellen und apparativen Ausstattungsaufwand erfordert. Für jede Leistungsgruppe werden Qualitätskriterien festgelegt, die ein Krankenhaus erfüllen muss, um von der Landesregierung die entsprechende Zulassung zu erhalten. Mit der Zulassung für die Leistungsgruppe wird eine jährliche Fallzahl für jedes zugelassene Krankenhaus festgelegt, die sich nach der in der Planungsregion zu erwartenden Zahl der betroffenen Patient*innen richtet und nicht überschritten werden darf.

Bei der künftigen Finanzierung werden außer bei den Level-1i-Krankenhäusern die Fallpauschalen als Teil der Finanzierung beibehalten. Sie werden aber gekürzt um einen Anteil für Vorhaltekosten. Das sind die Kosten eines Krankenhauses, die unabhängig davon entstehen, ob Patient*innen behandelt werden, wie Energiekosten oder nicht belegte Intensivbetten für Notfälle. Diese sollen auf Dauer von den Krankenkassen und der Deutschen Krankenhausgesellschaft für jede Leistungsgruppe ermittelt werden. In einer Übergangszeit wird der Vorhalteanteil mit einem Prozentsatz von 20 bis 40 Prozent (je nach Fachrichtung) festgesetzt und in dieser Höhe jede abgerechnete Fallpauschale gekürzt. Das so entstandene Vorhaltebudget wird dem Krankenhaus für die vereinbarte Fallzahl der jeweiligen Leistungsgruppe ausgezahlt, egal ob diese Anzahl an Fällen im jeweiligen Jahr tatsächlich behandelt wurde.

Die Krankenhausreform soll budgetneutral umgesetzt werden. Eine Revolution sucht man in diesem Regelwerk vergeblich. Keins der inzwischen allseits anerkannten Probleme der Krankenhäuser wird gelöst: Die Ökonomisierung der Behandlung wird nicht beendet, weil die Finanzierung über Fallpauschalen, wenn auch mit Abschlägen, bestehen bleibt. Die tatsächlichen Vorhaltekosten werden nicht refinanziert, denn sie werden als fallzahlbezogene Pauschalen bezahlt. Und da eine zweckgebundene Verwendung nicht vorgeschrieben ist, kann dieser Finanzierungsanteil auch für Gewinnausschüttung verwendet werden.

Die bereits finanziell angeschlagenen Kliniken werden entweder die Reform gar nicht erleben, weil sie bis dahin schon insolvent sind, oder ihnen wird die Reform nicht helfen, weil sie budgetneutral umgesetzt werden soll und so Defizite nicht ausgleichen kann. Auch nach dieser Reform werden private Konzerne mit ihren Krankenhäusern auf Kosten von Patient*innen und Beschäftigten lukrative Geschäfte machen können.

Dabei gäbe es einen wirksamen Weg für einen echten Neuanfang: nach dem Prinzip der Feuerwehr, die als Einrichtung der Daseinsvorsorge organisiert ist und daher mit allen Ressourcen ausgestattet wird, die sie zum Löschen benötigt. Niemand käme auf die Idee, sie nur für ihre Einsätze zu bezahlen oder Gewinne aus ihrem Betrieb zu erwarten. Auch Krankenhäuser sind Einrichtungen der Daseinsvorsorge und sollten daher so organisiert werden: Wo als Ergebnis einer Planung Krankenhäuser gebraucht werden, muss deren Betrieb bezahlt werden, mit allen Kosten, die dazugehören. Die Wirtschaftlichkeit der Betriebsführung müsste überprüfbar sein. Und da das Erwirtschaften von Gewinnen mit den Zielen der Behandlung von Kranken in Widerspruch geraten kann, müssen solche Gewinne gesetzlich verboten werden. Nichts außer den Lobby-Interessen der privaten Klinikkonzerne spricht dagegen, diesen Paradigmenwechsel umzusetzen.

Dr. Arndt Dohmen war ärztlicher Direktor der Hochrhein-Eggberg-Klinik Bad Säckingen und ist Gründungsmitglied des Bündnisses Krankenhaus statt Fabrik.

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