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Viertel vor oder drei viertel?

An der Angabe der Uhrzeit scheiden sich die Geister. Ein Ost-West-Missverständnis?

  • Regina Stötzel und Steffen Schmidt
  • Lesedauer: 3 Min.
Viertel vor oder Dreiviertel?

Steffen, wie spät ist es?

Drei viertel sieben.

Heißt also Viertel vor sieben.

Genau, 18.45 Uhr. Das ist wie beim Glas: Wenn das drei viertel voll ist, sagt man auch nicht, es ist Viertel vor voll. Insofern ist das von einer gewissen Logik.

Ich habe mich gefragt – so wie Leserinnen und Leser dieser Rubrik –, ob das eigentlich so ein Ost-West-Ding ist. Ich bilde mir ein, ich habe deine Variante auch schon von Süddeutschen gehört.

Da bildest du dir nichts Falsches ein. Aber ich habe mal von einer Untersuchung gehört, da haben sie Ost- und Westdeutsche befragt über sprachliche Eigenheiten der jeweils anderen. Und da gab es tatsächlich die Vorstellung, dass diese Drei-Viertel-Variante eine ostdeutsche wäre.

Aber es gibt sie auch in Süddeutschland.

Genau. Ebenso meinten viele Ostdeutsche, »Grüß Gott!« wäre was typisch Westdeutsches. Aber das ist auch was Süddeutsches.

Das verläuft wohl nicht entlang der gleichen Sprachgrenze wie der zwischen viertel sieben und Viertel nach sechs.

Offenbar nicht. Wobei ich auf eine interessante Frage auch keine Antwort gefunden habe: ob das auf Einflüsse unserer westlichen Nachbarn zurückgeht. Die tendieren ja eher zu der Variante, die in Norddeutschland gebräuchlich ist.

Also ist eher »viertel voll« ein Alleinstellungsmerkmal bestimmter Regionen.

Das hat wahrscheinlich was mit der jahrhundertelangen Kleinstaaterei hierzulande zu schaffen; bestimmte Sachen waren ja bis zum Ende des 19. Jahrhunderts auf Landesebene geregelt. Da war der Fürst Gesetz. Wobei verblüffend ist, dass es in Mecklenburg und Vorpommern eben auch diese Drei-Viertel-Variante gibt, obwohl die Regionen ansonsten sprachlich mehr mit den Norddeutschen weiter westlich verwandt sind.

In einem meiner Lieblingsbücher, »Das Büro« von J. J. Voskuil, geht es zwar um Volksbräuche. Aber da haut es auch nie so ganz hin, wenn die Forscher versuchen, danach Karten zu zeichnen. Wahrscheinlich gab es doch immer zu viel Austausch zwischen den einzelnen Gebieten, sodass es irgendwie durcheinanderging.

Bestimmte Veränderungen zeichnen eine lebendige Sprache halt aus. Nur tote Sprachen ändern sich nicht mehr.

Aber gibt es denn im Osten das Gefühl, dass sich die Westvarianten durchsetzen? Ich habe den Eindruck, dass manche ein bisschen empfindlich reagieren bei bestimmten Formulierungen. Sonnabend oder Samstag ist auch so etwas. Und bei »Weihnachten« wird’s richtig knifflig: an oder zu?

Da teilt sich die Bevölkerung ganz offensichtlich.

Für mich sind das ja zwei verschiedene Bedeutungen. Ich würde sagen, ich fahre zu Weihnachten weg, aber ich bin an Weihnachten bei meinen Eltern. Das eine ist eher draufzu und das andere währenddessen. Im Duden steht wahrscheinlich jeweils beides, oder?

Ich nehme an, dass es da kein Richtig oder Falsch gibt. Aber um noch mal auf die Uhrzeit zurückzukommen: Wir hatten es ja schon mit den Gläsern, und das ist wahrscheinlich ein Relikt aus der Sanduhrzeit. Die wurde ja stündlich gedreht, die alte Sanduhr, und war dann eben viertel, halb und drei viertel voll.

Aber die Sanduhr wurde ja überall irgendwann durch die Kirchenuhr ersetzt.

Dr. Schmidt erklärt die Welt

Als Universalgelehrter der nd.Redaktion weiß der Wissenschaftsjournalist Dr. Steffen Schmidt auf fast jede Frage eine Antwort – und wenn doch nicht, beantwortet er eben eine andere. Alle Folgen zum Nachhören auf: dasnd.de/schmidt

Das kann damit zusammenhängen, wo sich genauere Uhren zuerst durchgesetzt haben. Im 18. Jahrhundert bauten die Engländer bessere Uhren als die Kontinentaleuropäer, und dann die Franzosen. Bis das mit den Schwarzwälder Uhren so toll wurde, hat es noch ein bisschen gedauert.

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