Gewerkschafter in Kolumbien: »Wir gehen auf die Straße«

Der kolumbianische Gewerkschafter Fabio Arias Giraldo über die Rückgewinnung von Grundrechten

  • Interview: Knut Henkel
  • Lesedauer: 4 Min.

Glückwunsch zu Ihrer Wahl zum neuen Vorsitzenden der CUT, des größten gewerkschaftlichen Dachverbands Kolumbiens. Sie treten das Amt in einer schwierigen Situation an – das Unternehmerlager lehnt die Reform des Arbeitsgesetzes in Bausch und Bogen ab.

Ein Problem liegt in den Koalitionen, die Präsident Gustavo Petro einging, um eine parlamentarische Mehrheit zu schmieden und um Reformen wie die überaus wichtige Steuerreform durchzusetzen und den Entwicklungsplan für die kommenden Jahre, der am 7. Mai angenommen wurde. Erfolge wurden auch bei der Implementierung des Konzepts des »Totalen Friedens« und in der Agrargesetzgebung verzeichnet.

Doch seitdem die drei Sozialreformen, Arbeitsgesetz-, Gesundheits- und Pensionsreform auf dem Tisch liegen, scheint das Tischtuch zerschnitten – richtig?

Ja, das stimmt. Gegen die Reformen opponiert das Unternehmerlager. Sie würden das Land in die Rezession treiben, heißt es von dieser Seite. Daraufhin sind die drei Koalitionspartner Stück für Stück von der Regierung abgerückt, erst die »Partido de la U«, dann die konservative Partei und schließlich die liberale Partei. Ohne diese drei Parteien gibt es keine Mehrheit für die Sozialreformen, und so sind die Gesetze in den ersten Lesungen nicht durch die beiden Kammern des Parlaments gegangen. Das ist ein Drama, zumal das Arbeitsgesetz noch nicht einmal die erste von vier Debatten hinter sich hat.

Interview

Fabio Arias Giraldo (60) ist der frisch gewählte neue Vorsitzende des größten Dachverbandes der kolumbianischen Gewerk­schaften, der CUT (Central Unitaria de Trabajadores). Er setzt auf große Demons­tra­tio­nen, um die Reform der Arbeitsgesetze durchzusetzen.

Warum ist der Widerstand gegen die Reform des Arbeitsgesetzes so gravierend?

Gute Frage, denn die Reform der Arbeitsgesetzgebung stellt letztlich nicht viel mehr dar als die Wiederherstellung zentraler Leistungen wie die Regulierung der Überstundenzahlung, Feiertagszuschläge und einiges mehr. Das wird auch von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ausdrücklich begrüßt und die Reform gehört von Beginn an zur Regierungsagenda. Wir werden nun um den 20. Juli zu Demonstrationen mobilisieren, um Druck auf die Parlamentarier auszuüben.

Warum gibt es derartigen Widerstand?

Die kolumbianische Unternehmerschaft ist raffgierig, hat mit den teilweise extrem konservativen Regierungen der letzten Jahre die Arbeitsrechte systematisch demontiert und zusätzliche Profite generiert. Die will sie nicht wieder hergeben. Die 1000 größten Unternehmen des Landes erzielten im letzten Jahr einen Gewinn von 177 Billionen Peso (39 Milliarden Euro, d. Red. ) – die Arbeitsreform kostet nicht mehr als 3,3 Billionen Peso (726 Millionen Euro, d. Red.), so die Prognose der Analysten.

Eine extreme Diskrepanz – so viel Widerstand, obwohl wir über grundlegende Arbeitsrechte reden?

Ja, das sind extreme Widersprüche und eine latente Verletzung grundlegender internationaler Arbeitsrechte.

Wie steht es um den Organisationsgrad der CUT – gewinnt sie an Stärke?

Ja, wenn auch langsam, aber immerhin stetig. Wir haben rund 600 000 Mitglieder in rund 700 Gewerkschaften und die Zahl steigt kontinuierlich, aber langsam. Der Druck über Leiharbeitsfirmen ist hoch und dabei sind auch internationale Unternehmen wie DHL mitverantwortlich, die mit Subunternehmen arbeiten. Wir haben Zuwächse nach dem Paro 2021, dem landesweiten, dreimonatigen Streik, aber der Organisationsgrad liegt nicht über 4,5 Prozent. Es gibt neue Sympathien für die Gewerkschaftsbewegung und die Reform der Arbeitsgesetzgebung würde diesem Prozess Auftrieb geben. Auch das ist ein Grund für den Widerstand aus dem Unternehmerlager.

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Was ist Ihre Zielmarke?

Ich träume von Werten von 16 bis 18 Prozent, die wir vor 35 Jahren hatten – bevor die neoliberale Politik Schule machte.

Welche Rolle spielt dabei die Formalisierung von Arbeitsverhältnissen im staatlichen Sektor?

Eine große, und da sind wir mit der Regierung im Gespräch und die Reform der Arbeitsgesetzgebung wäre ein wichtiger Schritt in diese Richtung.

Wie ist das Verhältnis zum Arbeitsministerium und gibt es mehr Kontrollen?

Das Verhältnis ist gut, aber die Abläufe sind sehr bürokratisch in Kolumbien und ein Beispiel dafür ist der Mangel an Inspektor*innen auf nationaler Ebene. Es gibt rund 900 Inspektor*innen landesweit, der Bedarf liegt jedoch bei rund 2000 laut der ILO. Das ist eine Lücke, die die Regierung noch nicht gefüllt hat und wofür mehr Geld nötig ist. Dazu sind wir in Gesprächen.

Ist der dreimonatige landesweite Streik von 2021 ein Wendepunkt? Ist die Stigmatisierung der Gewerkschaftsbewegung aufgebrochen?

Ja, es gibt weniger Stigmatisierung, weniger Angriffe und mehr Akzeptanz. Gerade auch von der aktuellen Regierung, die die Linke wie die Rechte demonstrieren lässt. Das ist positiv und wir hoffen auf echte Reformen in den nächsten Monaten.

Hat die Regierung Fehler gemacht?

Oh ja, natürlich. Der gravierendste ist die fehlende Vermittlung ihrer Erfolge – es fehlt ein stimmiges funktionierendes Kommunikationskonzept. Hinzu kommt, dass die großen Medien in den Händen großer Unternehmen und einflussreicher Familien stehen – sie verfolgen ihre eigenen Interessen.

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