Agrarpolitik in Kolumbien: »Petros Ansätze sind richtig«

Der Ökobauer Alfredo Añasco über die Agrarpolitik der kolumbianischen Regierung

  • Interview: Martin Ling
  • Lesedauer: 5 Min.

Seit August 2022 hat Kolumbien erstmals in seiner Geschichte eine explizit linke Regierung unter dem Präsidenten Gustavo Petro und der Vizepräsidentin Francia Márquez. Hat das bereits konkret etwas für die Bauern in Ihrer Region, dem Valle del Cauca im Südwesten Kolumbiens, verändert?

Immerhin werden wir zum ersten Mal von einem Präsidenten überhaupt wahrgenommen mit unseren Problemen und Bedürfnissen. Es sind Veränderungen auf dem Weg. Allein dass es eine Regierung Petro/Márquez geben könnte, schien lange Zeit utopisch. Jetzt ist sie Realität. Das gibt uns große Hoffnung, dass der Wandel weitergehen kann, auch wenn Petro nach vier Jahren 2026 nicht mehr antreten darf. Klar ist, dass die Veränderungen im Agrarsektor sehr tief gehen müssen und dass das viel Zeit braucht. Bisher sind kaum positive Auswirkungen spürbar.

Worin liegen aus Ihrer Sicht die größten Probleme?

Der Agrarsektor wurde immer vernachlässigt und schlecht verwaltet. Von allen bisherigen Präsidenten vor Petro wissen wir nicht, welcher der schlechteste von ihnen war … Seit den 90er Jahren wurde die Landwirtschaft systematisch zerstört, und mit den Freihandelsabkommen wurden die Produktionsmöglichkeiten des Landes untergraben. Kolumbien könnte sich ohne Probleme selbst ernähren. Wir verfügen laut offiziellen Angaben über rund 20 Millionen Hektar fruchtbare Ackerböden. Von denen werden jedoch weniger als 20 Prozent für die Lebensmittelproduktion genutzt. Stattdessen werden Zigmillionen Tonnen Agrarprodukte importiert, die wir größtenteils selbst produzieren könnten. Die Importe senken die Anreize für die bäuerliche Produktion extrem. Hinzu kommt die extreme Konzentration von Land in den Händen sehr weniger Menschen und dass der größte Teil der Anbaufläche für den Export und nicht für die nationale Produktion genutzt wird.

An der Landverteilung setzt Präsident Petro unter anderem an. Was halten Sie von der historischen Vereinbarung mit dem ultrakonservativen Dachverband der Viehzüchter, Fedegán? Drei Millionen Hektar gibt Fedegán zum Verkauf frei. Kann das der Auftakt für eine Agrarreform sein?

Interview

Alfredo Añasco ist Mitglied im Netzwerk der agrarökologischen Märkte des Valle del Cauca und begleitet das kolumbianische Landwirtschaftsministerium bei der Entwick­lung einer öffentlichen Politik für Agrarökologie.

Das war ein sehr kluger Schachzug von Petro. Petro geht auf die Rechte zu und gewinnt. Bei einer offenen Konfrontation hätten sie ihn vielleicht schon getötet. Die ersten Flächen wurden schon aufgekauft und sollen an Kleinbauern übergeben werden. Wenn Petro es schafft, mehr und mehr Ressourcen zu bekommen, kann er das Land von denen kaufen, die es gestohlen haben. Das klingt nach einem hässlichen Kompromiss, ist aber strategisch gesehen gut. Die Ultrarechte in Kolumbien ist stark und setzt Petros Reformplänen starken Widerstand entgegen. Der Deal mit Fedegán ist nicht angenehm, aber er war notwendig. Und in dem Maße, in dem diese Ländereien gekauft und übergeben werden und man beginnt, diese Ländereien sinnvoll zu nutzen, wird die Reform vorankommen. Die Agrarreform hat begonnen. Der nächste Schritt muss die Übergabe des Landes sein, und dann müssen dort immer mehr Nahrungsmittel produziert werden, um die Importabhängigkeit zu überwinden.

Die Regierung von Petro hat sich auch für die Stärkung der Agrarökologie ausgesprochen. Wird das mit Leben erfüllt?

Bisher nicht. Die Institutionen, die es gibt, wie das Landwirtschaftsministerium, sind darauf nicht vorbereitet. Sie kennen nichts als die grüne Revolution und die Agrochemie. Auch den meisten Bauern wurde in der Vergangenheit beigebracht, Agrochemikalien zu verwenden, Düngemittel zu verwenden, Monokulturen zu säen. Hier braucht es einen Wandel – das jetzt zur Übergabe anstehende Land sollte ökologisch bewirtschaftet werden. Agrarökologie und alternative Landwirtschaft sind wirklich machbar, aber es braucht einen Prozess der Begleitung durch die Institutionen. Den gibt es bisher nicht. Agrarökologie lernt man nicht in einem sechsmonatigen Kurs. Die, die ökologischen Landbau betreiben, haben die Kompetenz und das Wissen. Bisher werden wir nicht richtig eingebunden, wird unser Wissen nicht einbezogen. Ein Landwirtschaftsministerium, das auf die Agrarökologie nicht vorbereitet ist, hilft nicht. Die vielen agrarökologischen Basisorganisationen werden nicht berücksichtigt. Wir könnten viel zu diesem Übergangsprozess beitragen. Wir bringen schon jetzt die agrarökologischen Methoden allen Interessierten mit einfachen Mitteln von Bauer zu Bauer bei. Mit staatlicher Unterstützung könnte das in viel größerem Maßstab passieren, wenn das Agrarministerium kompetent wäre. Dort wissen sie nicht, wie man Agrarökologie macht.

Es reicht also nicht, dass sich Petro und Márquez für die Agrarökologie aussprechen, wenn die Verwaltung nicht mitzieht ...

Die beiden sind völlig offen für das, was wir vorschlagen. Es ist nicht die Entscheidung von Petro, es ist nicht die Entscheidung von Francia Márquez, sie haben ein riesiges Chaos, das sie in Ordnung bringen müssen. Auf der Ebene der Institutionen gibt es noch nicht die Voraussetzungen, um uns ein wenig mehr zu vertrauen und zumindest zu sagen: Gut, wir machen unser Ding weiter wie gehabt, aber geben auch euch Ökobauern eine Chance. Wir werden das nicht von heute auf morgen in Ordnung bringen. Aber wir haben bisher agrarökologische Landwirtschaft aus eigener Kraft betrieben, ohne die Hilfe anderer. Die bisherigen Regierungen haben keinen einzigen Peso in uns investiert, weil wir uns dem agroindustriellen System verweigern. Die neue Regierung hat das zumindest vor.

Und bis dahin machen die agrarökologischen Basisorganisationen einfach weiter?

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Klar. Wir werden weiterhin Widerstand leisten, so wie wir es bisher getan haben. Wir wurden hartnäckig unsichtbar gemacht, angegriffen und vom System ignoriert. Trotzdem betreiben wir unsere Landwirtschaft, und wir essen sehr gut. Die Eier, das Fleisch, die Milch, das Obst, das Gemüse sind nicht aus dem Supermarkt, sie sind vom Bauernhof und sie sind biologisch. Wir leisten seit vielen Jahren Widerstand, und ich denke, wir können noch viele Jahre lang Widerstand leisten. Wir können der Welt und den Menschen, die es verstehen wollen, zeigen, dass es andere Möglichkeiten in der Landwirtschaft gibt. Wenn Menschen das künstliche Fleisch bevorzugen, das Bill Gates auf den Speiseplan setzen will, dann ist das ihr Problem. Wir werden weiter agrarökologische Landwirtschaft betreiben, egal
was passiert.

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