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EU-Renaturierungsgesetz: Showdown in Straßburg

Die Abstimmung über die Biodiversitätsverordnung der EU ist ein Politikum mit Skandalpotenzial, meint Cornelia Ernst

  • Cornelia Ernst
  • Lesedauer: 3 Min.

Kaum ein Thema hat das politische Brüssel in den vergangenen Wochen so sehr befasst wie die Abstimmung über die Verordnung zur Wiederherstellung der Natur, die umgangssprachlich auch als Biodiversitätsverordnung bezeichnet wird. Das Gesetz ist ein Kernstück des europäischen »Green Deals« und im Bereich der Biodiversität der erste umfassende Rechtsrahmen.

Der Kommissionsvorschlag legt für Land-, Küsten-, Süßwasser- sowie für Meeresökosysteme verbindliche Renaturierungsziele fest, die in Etappen erzielt werden sollen: Bis zum Jahr 2030 sollen mindestens 20 Prozent der Land- und Meeresflächen der Union und bis 2050 alle von Biodiversitätsverlust betroffenen Ökosysteme einer Renaturierung unterzogen werden. Mitgliedsstaaten sollen nationale Renaturierungspläne erarbeiten, die entsprechende Gebiete identifizieren und Maßnahmen beinhalten, die Ökosysteme wahren und wiederherstellen sollen. Ein solches Gesetz tut not, denn die Situation der Ökosysteme ist dramatisch: Seit Jahren erlebt Europa einen Rückgang der Biodiversität in nahezu allen Bereichen.

Wenn die 705 Abgeordneten des Europäischen Parlamentes an diesem Mittwoch über die Biodiversitätsverordnung abstimmen, geht es also um nichts weniger als die Zukunft der Ökosysteme in der EU. Doch das Gesetz droht zu scheitern, weil die konservative Europäische Volkspartei (EVP), angeführt von CDU/CSU, im Verbund mit den rechten Fraktionen EKR und ID (zu der die AfD-Abgeordneten gehören) ihre Zustimmung zu verweigern droht. Damit stimmt sie erstmals gegen ein Gesetz des Green Deals, was unter den zentristischen Parteien bislang als politisches Tabu galt.

Spätestens als die Verantwortliche der EVP – die deutsche Abgeordnete Christine Schneider – im Juni die Verhandlungen im zuständigen Ausschuss für Umweltfragen verließ, wurde deutlich, dass die Konservativen auf Konfrontationskurs gehen. Seither folgt eine schamlose Desinformationskampagne im Stil des Trumpismus. So behauptete die EVP in sozialen Medien zuletzt, dass die Biodiversitätsverordnung ganze Städte zu Wäldern transformieren und letztlich auch die Energiewende gefährden würde – ein diskursiver Taschenspielertrick, der von Verbänden der Erneuerbaren Energien zurückgewiesen wurde. Auch aus Reihen der Zivilgesellschaft und Wissenschaft gab es bemerkenswerte Mobilisierungen für das Gesetz: Erst am Montag riefen rund 6000 Wissenschaftler*innen aus der EU dazu auf, das Gesetz zu beschließen.

Betrachtet man das Manöver der Konservativen genauer, so ist anzunehmen, dass parteitaktisches und machtpolitisches Kalkül hierfür ausschlaggebend ist. Denn die sich abzeichnenden rechten Landgewinne bei der Europawahl im kommenden Jahr stellen die bisherigen Mehrheitsverhältnisse im Parlament in Frage. Der EVP-Fraktionschef und CSU-Mann Manfred Weber will die EVP vor diesem Hintergrund nach rechts öffnen, um die eigene Machtposition abzusichern. Wenngleich Konservative und Rechte in manchen Politikfeldern, etwa der Migrationspolitik, bereits gemeinsame Sache machen, droht sich das rechte Bündnis im kommenden Jahr zu verfestigen. Das Zurückdrehen bestimmter Teile des »Green Deals« könnte dabei als Kitt zwischen den Rechtsfraktionen dienen.

Die Abstimmung hat also weit über die verhandelte Gesetzgebung hinaus Auswirkungen. Das gilt im Übrigen auch für Deutschland: Während die bundesrepublikanische Öffentlichkeit nach den Erfolgen der AfD in Sonneberg und Raguhn-Jeßnitz die Möglichkeit eines rechten Dammbruchs vor allem in Hinblick auf die kommunal- und landespolitische Ebene diskutiert, bleibt die Rolle der europäischen Ebene weitestgehend außen vor. Diese könnte jedoch mindestens genauso entscheidend dafür sein, ob langfristig auch auf Bundesebene Mitte-rechts-Bündnisse denkbar werden. Stellen wir uns dem mit aller Kraft entgegen.

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