Existenzielle Krise in der Koalition

Angesichts des erratischen Kurses von Kanzler Merz überrascht Stefan Otto der Dauerstreit in der schwarz-roten Koalition nicht

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) schafft es bislang nicht, zwischen den unterschiedlichen Interessen in der Koalition zu vermitteln.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) schafft es bislang nicht, zwischen den unterschiedlichen Interessen in der Koalition zu vermitteln.

In den Regierungsparteien rumort es – so sehr, dass die Generalsekretäre von SPD und CDU gemeinsam einen Appell veröffentlicht haben: Man solle sich nicht an Nebensächlichkeiten abarbeiten, sondern das große Ganze im Blick behalten. Die Voraussetzungen für den Erfolg des Landes müssten grundlegend erneuert werden, erklärten Carsten Linnemann (CDU) und Tim Klüssendorf (SPD). Tatsächlich sorgt sich die Koalition um ihre Außenwirkung – sie erinnert zunehmend an die gescheiterte Ampel-Regierung. Heillos zerstritten wirkt sie, auch wenn Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bei der geplanten Wehrdienstreform auf eine rasche Einigung hofft. Selbst in der Rentenpolitik scheinen Kompromisse möglich.

Bei der Reform des Bürgergelds allerdings sind die Fronten verhärtet. Die Junge Union fordert inzwischen eine drastische Kürzung sozialstaatlicher Leistungen, während sich in der SPD Widerstand gegen die geplante Abschaffung des Bürgergelds formiert. Ein angekündigtes Mitgliederbegehren könnte erhebliche Unruhe stiften – mit unabsehbaren Folgen für die Koalition.

Offenbar fällt es den nach rechts gerückten Unionsparteien schwer, sich trotz eines Koalitionsvertrages auf gemeinsame politische Linien mit der SPD zu einigen. Seit Monaten hangelt sich das Regierungsbündnis von einem Streit zum nächsten. Das liegt auch am erratischen, von Schlagzeilen getriebenen Kurs des Bundeskanzlers Friedrich Merz (CDU). In seiner betont schneidigen Art ruft er regelmäßig nach mehr Härte in der Sozialpolitik – und stößt damit Teile des Koalitionspartners vor den Kopf. Innenpolitisch agiert er wie ein Scharfmacher: Erst setzt er gezielt unsoziale oder populistische Spitzen, dann rudert er zurück. So befeuert er die Debatten, die er vorgibt, befrieden zu wollen.

Überlegt wirkt dieses Vorgehen selten. Immer deutlicher wird, dass Merz als Kanzler die Fähigkeit vermissen lässt, Brücken zu bauen und Kompromisse zu suchen. Statt zu führen, verschärft er Konflikte – mit Folgen für das gesamte Regierungsbündnis. Nach kaum einem halben Jahr im Amt hat er die schwarz-rote Koalition bereits in eine existenzielle Krise manövriert.

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