Aus Mangel an Beweisen

Der ranghöchste Polizist Baden-Württembergs wurde vom Vorwurf sexueller Nötigung freigesprochen

  • Franziska Mayr
  • Lesedauer: 5 Min.
»Freund und Helfer«? Gegen Polizeibeamte gibt es aktuell Verfahren wegen sexueller Nötigung oder rassistischer Aussagen.
»Freund und Helfer«? Gegen Polizeibeamte gibt es aktuell Verfahren wegen sexueller Nötigung oder rassistischer Aussagen.

Der Inspekteur der Polizei (IdP) Baden-Württemberg, Andreas Renner, verließ am Freitag das Gericht als Sieger: Das Landesgericht Stuttgart sprach ihn frei. Renner, der im November 2021 wegen sexueller Nötigung gegen eine junge Polizeibeamtin angeklagt worden war, habe sich zwar selbst in die »verkorkste Lage gebracht«, sagte Richter Volker Peterke bei der Urteilsverkündung, eine Nötigung sei aber nicht nachweisbar. Die Aussage des mutmaßlichen Opfers könne »auch übertrieben oder durch nachträgliche Ereignisse verzerrt sein.« Die durch ein Überwachungsvideo nachgewiesenen sexuellen Handlungen seien hingegen »einverständlich« erfolgt. Zur Urteilsverkündung kam Renner wie zu jedem Gerichtstermin bislang händchenhaltend mit seiner Gattin. Er, im dunkelblauen Anzug, sie, schick in schwarz mit der üblichen grünen Handtasche, auf der »Stay Strong« geschrieben stand.

Der damals 47-jährige Renner wurde am 1. November 2020 zum ranghöchsten Landespolizisten ernannt. Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU) attestierte ihm, er habe »genau das richtige Format für dieses Amt«. Allerdings wurde der hochgelobte Polizeiinspekteur gerade mal zwölf Monate danach bereits wieder suspendiert. Der Vorwurf lautete auf sexuelle Nötigung, weswegen er seit April dieses Jahres vor Gericht stand. Parallel zum Prozess wurde ein Untersuchungsausschuss im Landtag einberufen, um die Rolle des Innenministeriums im Fall Renner sowie die gängigen Beförderungspraktiken bei der Polizei zu ergründen.

Die Nebenklägerin ist eine junge Polizeibeamtin, über deren Beförderung Renner maßgeblich mitentschied. Der Vorwurf der sexuellen Nötigung bezieht sich auf den 12. November 2021. Damals befand sich die Polizistin im Auswahlverfahren für den höheren Dienst, während Renner als maßgebliches Mitglied einer Beurteilungskommission für Personalfragen zuständig war. Zudem wollte Renner der persönliche Mentor der 16 Jahre jüngeren Polizistin sein.

Am besagten Tag lud Renner sie zum Personalgespräch in sein Büro ein. Nach Dienstschluss kam unter anderem Polizeipräsidentin Stefanie Hinz hinzu und bald wurde daraus eine heitere Sektrunde. Renner und die Beamtin verlagerten das Trinkgelage in Renners Stammkneipe, wo Überwachungskameras aufzeichneten, wie sie sich stundenlang unterhielten und immer wieder küssten. Gegen drei Uhr nachts verließ Renner die Kneipe »um Luft zu schnappen«, die Polizistin folgte ihm. Draußen angekommen, öffnete der Polizeiinspekteur seine Hose und begann, gegen eine Wand zu urinieren. Was in den vier Minuten vor dem Lokal passierte, ist strittig. Videoaufnahmen gibt es keine. Die Polizeibeamtin behauptet, Renner habe ihre Hand genommen und »an seinen Schwanz geführt«. Der IdP hingegen sagt, sie habe von selbst an sein Geschlecht gegriffen. »Es liegt eine Aussage-gegen-Aussage-Konstellation vor«, so Richter Peterke.

Dreieinhalb Tage danach fand ein Videotelefonat zwischen den beiden statt. Die Polizistin zeichnete das Gespräch auf, das vor Gericht später nichtöffentlich vorgespielt wurde. Nach Angaben des SWR soll der Inspekteur ihr darin versichert haben, dass sie durch eine Beziehung mit ihm »beruflich nur Vorteile haben werde«. Dieser Audiomitschnitt war nicht Teil der Anklage durch die Staatsanwaltschaft und wurde somit vom Landesgericht nicht rechtlich bewertet. Das Machtgefälle zwischen Angeklagtem und Nebenklägerin war grundsätzlich kein Thema. Beziehungen zwischen einem Vorgesetzten und einer nachgeordneten Person seien nicht verboten, betonte der Richter.

Parallel zur geschilderten Causa Renner ereignete sich im Dezember 2021 – als die Staatsanwaltschaft bereits wegen des Vorwurfs der sexuellen Nötigung ermittelte – die sogenannte Briefaffäre. Ein Journalist der »Stuttgarter Nachrichten« berichtete über einen Brief, der von Renners Anwalt an Innenminister Strobl adressiert war und den Strobl unerlaubt an den Journalisten weitergegeben hatte. Der Jurist bittet darin um ein persönliches Gespräch zwischen seinem Mandanten und dem Innenminister, was »zielführender« sei »als eine unvermittelte Rechtswegbeschreitung«, sprich: eine gerichtliche Klärung.

Der im Juni 2022 beschlossene Untersuchungsausschuss zur Rolle des Innenministeriums im Fall Renner und zur allgemeinen Beförderungspraxis bei der Polizei Baden-Württemberg lässt Strobl in ein schiefes Licht geraten. Zeugenaussagen legen nahe, dass die Beförderung Renners zum Spitzenbeamten nicht allein auf seine Qualifikationen zurückzuführen sei. Der Innenminister hatte ihn bereits vor Ernennung als seine »Zielvorstellung« benannt. Die Präferenz Strobls wurde keineswegs verschwiegen, ganz im Gegenteil: Potenzielle Mitbewerber*innen wurden telefonisch, unter anderem von Polizeipräsidentin Stefanie Hinz, über die Aussichtslosigkeit der eigenen Bewerbung informiert. Das führte dazu, dass Renner schließlich als einziger Bewerber übrigblieb.

Trotzdem zweifelte lange niemand an seiner fachlichen Eignung, was wohl auch an Renners bravourösen Karrierelaufbahn liegt: Im Jahr 2017 wurde er als stellvertretender Landeskriminaldirektor ins Innenministerium berufen, 2019 zum stellvertretenden Präsidenten des Landeskriminalamts (LKA) ernannt, ein Jahr später folgte die Beförderung zum IdP.

Einzig der ehemalige LKA-Präsident Ralf Michelfelder machte Mitte Juni als Zeuge im Untersuchungsausschuss seine von Anfang an bestehenden Zweifel an Renners Qualifikationen deutlich. Er habe sich 2019 vehement gegen Renners Beförderung ausgesprochen. »Er besaß das fachliche Niveau aus meiner Sicht nicht«, sagte er im Juni im Landtag. »Jeden wichtigen Vorgang, der über seinen Tisch ging, musste ich nochmals überprüfen und korrigieren.« Trotzdem wurde Renner später mit der Höchstnote 5,0 bewertet und zum ranghöchsten Polizisten des Landes ernannt.

Grünen-Obmann Oliver Hildenbrand sprach von einem »strukturellen Machtmissbrauch« im Innenministerium. Der Ausschuss wird nach der Sommerpause im Herbst wieder tagen. Renner hingegen bleibt weiterhin vom Dienst suspendiert. Auch sein größter Unterstützer, Minister Strobl, hat bereits bekundet, er könne sich nur schwer vorstellen, dass der IdP in sein Amt zurückkehren werde. Ob das überhaupt zur Debatte stehen wird, ist erst klar, sobald der Fall vollständig abgeschlossen ist. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart, die für Renner eine Haftstrafe von einem Jahr und drei Monaten und eine Geldauflage in Höhe von 16 000 Euro gefordert hatte, will Revision einlegen.

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