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»Der Krieg im Sudan wird länger andauern«

Der linke Politiker Elshafie Khidir Saied über den bewaffneten Konflikt im Sudan und die Lage der Menschen

Im Juli 2023 sollte die militärische Übergangsregierung im Sudan Wahlen abhalten. Doch Mitte April brach die Vereinbarung über die Machtteilung zwischen den beiden mächtigsten Männern des Sudan zusammen, General Abdel Fattah Al-Burhan und sein Vize Mohammad Hamdan Daglo, genannt Hemeti. Seitdem kämpfen sie erbittert um die Macht. Was hat Al-Burhan und Hemeti entzweit?

Das im Dezember vereinbarte Übergangsabkommen sah vor, dass aus zwei Armeen wieder eine werden sollte. Dafür sollten die Rapid Support Forces (RSF), die Miliz von Hemeti, aufgelöst werden. Er wünschte dafür einen Zeitraum von zehn Jahren, Al-Burhan wollte ihm maximal zwei, drei Jahre zugestehen. Daraus entstand der Konflikt. Die Armee wollte und will diesen Konflikt lösen, aber nicht, um auf einen demokratischen Pfad zurückzukehren und an eine Zivilregierung zu übergeben. Al-Burhan will lediglich die RSF neutralisieren. Die RSF ihrerseits spielt ein Spiel, indem sie vorgibt, den politischen Prozess der demokratischen Transformation zu unterstützen. Und das, obwohl sie eine hässliche Rolle beim Niederschlagen ziviler Proteste seit dem Beginn der zivilen Protestbewegung im Dezember 2018 gespielt hat. Und im Konflikt hat Hemeti dann beschlossen, seine RSF nach Khartum zu schicken …

Ein wenig wie Prigoschin seine Truppen nach Moskau?

Ich habe in der Tat einst Prigoschin als Hemeti von Russland bezeichnet. Es gibt Parallelen. Jedenfalls ist das Hardliner-Islamisten-Regime von Omar Al-Baschir, der im April 2019 von Al-Burhan und Hemeti auf Druck der Zivilgesellschaft gestürzt wurde, unter diesen beiden fortgeschrieben worden. Al-Baschirs Gefolgsleute, zu denen ja auch Al-Burhan und Hemeti gehörten, dominieren weiter im Sicherheitsapparat und der Armee. Und nun kämpft die Armee unverändert gegen die RSF.

Wie ist die Lage aktuell? In Deutschland ist Sudan nur noch Randthema.

Interview

Elshafie Khidir Saied war bis 2015 führendes Mitglied der Kommunistischen Partei in Sudan. Im Mai 2023 flüchtete er wegen des Krieges mit seiner Familie nach Ägypten.

Der Krieg hält an, ist sehr intensiv. Die Hauptstadt Khartum, wo sich die Miliz verschanzt hat, wird Zug um Zug durch die Luftwaffe der Armee und die Kämpfe am Boden zerstört. Insgesamt sind nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks (UNHCR) bislang rund 733 000 Menschen aus dem Sudan geflohen, vor allem nach Ägypten wie meine Familie und ich. Im Land selbst sind rund 2,4 Millionen Menschen vertrieben worden.

Ist es ein Machtkampf zwischen zwei starken Männern oder steckt mehr dahinter?

Es ist mehr. Auch hinter diesem Machtkampf stehen die seit der Unabhängigkeit 1956 ungelösten Probleme Sudans. Es ist nie gelungen, einen stabilen, demokratischen Staat zu errichten. Da ist die Frage nach dem Herrschaftssystem, die Frage der Ressourcenverteilung, die Frage nach der Identität in einem arabisch-afrikanischen Land und die Frage nach dem Verhältnis der Politik zur Religion. Alle diese Fragen sind bis heute nicht einvernehmlich geklärt worden und sorgen immer wieder für Konflikte. Der Machtkampf von Al-Burhan und Hemeti ist nur der neueste Ausdruck dessen.

Weil Hemeti aus Darfur stammt, wo nach 2003 ein opferreicher Bürgerkrieg entflammte?

Unter anderem, ja. Die Politik der herrschenden Elite in Khartum wurde immer von arabischen Ideen dominiert. Das hat in Regionen des Sudans, wo viele Christen leben, wo viele Anhänger afrikanischer Religionen leben, wo viele Menschen leben, die einer afrikanischen und keiner arabischen Identität anhängen, zu Konflikten geführt. Zum Beispiel in der Region Blauer Nil oder eben Darfur, wo sich bewaffnete Aufstandsbewegungen entwickelt haben. Die Diversität von Sudan, die nicht friedlich koexistiert, ist die Essenz unserer Krise. Hemetis RSF kommen aus Darfur, sind arabisch und haben brutal gegen die nicht-arabischen Bewohner von Darfur gekämpft – im Auftrag von Al-Baschir. Und nun wollen sie ihren Preis dafür in der Teilhabe an der Macht.

Das hört sich nicht nach einem schnellen Kriegsende an.

Nein. Davon gehe ich nicht aus. Der Krieg wird länger andauern.

Der Aufstand der Zivilbewegung seit Dezember 2018 wurde von den sogenannten Widerstandskomitees, einem dezentralisierten Netz von lokal verankerten Gruppen, angeführt. Sind die im Krieg gelähmt?

Nein. Die sind aktiv. Sie haben sich nach Beginn des Krieges im April neu aufgestellt und organisieren jetzt humanitäre Korridore für die Bevölkerung. Sie befinden sich nach wie vor im Lande, sie haben als zivile Bewegung keine Möglichkeit, den Krieg zu stoppen. Deswegen legen sie ihre Priorität auf humanitäre Hilfe. Vor meiner Flucht aus Khartum im Mai war ich wochenlang in meinem Haus eingeschlossen. Sie versorgen alle nach ihren Möglichkeiten mit dem Nötigsten. Es fehlt an Nahrungsmitteln und Wasser, es gibt kein Geld, weil die Banken geschlossen haben. Die Lage ist katastrophal und die Widerstandskomitees versuchen sie nach Kräften zu mildern.

Mit Hilfe der UN? Der Sicherheitsrat hat Anfang Juni mitten im Krieg das Mandat für die UN-Mission im Sudan (Unitams) nochmal um sechs Monate verlängert.

Am Anfang ohne die UN. Inzwischen versuchen die Widerstandskomitees, mit der UN soweit als möglich zusammenzuarbeiten. Es geht vor allem um humanitäre Korridore und Notunterkünfte, aber auch darum, den Bauern zu helfen. Der Krieg tobt ja nicht in ganz Sudan, sondern vor allem in drei Regionen: In Khartum, in Darfur im Südwesten und in Südkordofan an der Grenze zum Südsudan. Die anderen Regionen sind relativ sicher und da geht es zum Beispiel darum, vor der Regensaison noch mit der Aussaat zu beginnen und den Bauern das nötige Saatgut und den Dünger zu besorgen.

Militärisch können die zivilen Widerstandskomitees den Krieg nicht stoppen. Gibt es zivile Ansätze?

Ja. Sie und andere arbeiten an einer zivilen Bewegung, die sich lautstark gegen den Krieg ausspricht. Es gibt im Sudan politische Parteien, Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften. Es gibt Initiativen, die zum Ende des Kriegs aufrufen. Die arbeiten mit den Widerstandskomitees zusammen. Und auch im Exil rufen sudanesische Gruppen zum Stopp des Krieges auf. Bisher trägt das allerdings noch keine Früchte.

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