USA: Der lange Abschied von Suburbia

Ein eigenes Haus in der Vorstadt und zwei Autos: In den USA zweifeln immer mehr an diesem Traum

  • Julian Hitschler
  • Lesedauer: 5 Min.

Das Einfamilienhaus war lange Zeit fester Bestandteil des amerikanischen Traums: Wer es sich leisten konnte, kaufte sich ein Auto und zog in die Vorstadt, die Innenstädte verarmten oder wurden zu reinen Bürobezirken. Diese radikale Neustrukturierung der urbanen Geografie der USA begann vor allem in den 1950er Jahren. Vor allem weiße Menschen zogen nach »Suburbia« – in die Vorstädte. »White flight« – also »weiße Flucht« – nennt man diese große Wanderungsbewegung der Nachkriegszeit in die Vorstädte deshalb.

Diese Umgestaltung erfolgte auch aufgrund von Veränderungen in der Sozialstruktur, die auf die Ausweitung des Sozialstaats durch den »New Deal« von Franklin D. Roosevelt folgte. Mehr und mehr Menschen hatten die Möglichkeit zu studieren, was zuvor einer kleinen Elite vorbehalten gewesen war. Doch nicht alle Gruppen profitierten gleichermaßen: Rassistisch Diskriminierten blieben Immobilienkredite für ein Eigenheim verwehrt: Als »Redlining« bezeichnet man die Praxis von Banken und Versicherungen, buchstäblich rote Linien auf Stadtplänen zu ziehen, um »unsichere« Gegenden zu markieren, in denen sie ihre Dienste nicht anbieten würden. Eines der Hauptkriterien war der afroamerikanische Bevölkerungsanteil.

Für die Zurückgebliebenen bedeutete das urbane Leben den Verfall der Infrastruktur und des sozialen Zusammenhalts. Vor allem, nachdem eine erste Welle der Deindustrialisierung in den 1960er Jahren viele städtische Arbeitsplätze vernichtete, wurden aus Arbeitergegenden Elendsviertel. Für die Mittelschicht in den Vorstädten wurden die Innenstädte zur Projektionsfläche für alle möglichen Horrorvorstellungen. Bis in die späten 1990er Jahre blieb es im Wesentlichen bei dieser Konstellation.

Doch seit einigen Jahren setzt ein Umdenken ein, das städtische Leben wird wieder attraktiver. Das hat vielfältige Gründe: explodierende Immobilienpreise, Digitalisierung, aber auch veränderte Lebensentwürfe und eine sich wandelnde Arbeitswelt. Hinzu kommt, dass die Vorstädte wegen ihrer geringen Bevölkerungsdichte vor finanziellen Problemen stehen und ihre Infrastruktur zunehmend verfällt.

Als einer der ersten zweifelte der Stadtplaner Charles »Chuck« Marohn aus Brainerd, Minnesota bereits in den 1990er Jahren an der Nachhaltigkeit der suburbanen Zersiedlung. Mit seiner Webseite »Strong Towns«, die sich inzwischen zu einer Medienorganisation mit festem Mitarbeiterstab entwickelt hat, versucht er bei den Stadtverwaltungen ein Umdenken zu erwirken, durchaus mit Erfolg: Hunderte Städte in den ganzen USA haben bereits ihre Planungsrichtlinien überarbeitet. Somit haben Gewerbebetriebe und Wohnungsbauunternehmen größere Spielräume, um bedarfsgerechte Stadtentwicklung zu betreiben – weg von Einfamilienhäusern und großen Parkplätzen.

Marohn ist skeptisch, was zentralstaatliche Eingriffe betrifft, und glaubt eher an lokale Initiativen. Anders sieht das Jessica Bateman, Abgeordnete im Parlament des Bundesstaats Washington an der Westküste. Die Demokratin, die ihr Amt 2021 antrat, hat sich voll und ganz der Lösung der Wohnungskrise verschrieben. In der letzten Legislaturperiode wurden im Parlament bereits mehrere Gesetze beschlossen, die zusätzlichen Wohnraum schaffen sollen. In Städten über 20 000 Einwohner*innen sollen künftig Doppelhaushälften auf allen Grundstücken erlaubt sein, Gebäude mit vier Einheiten überall dort, wo es ein ÖPNV-Angebot gibt, oder wenn eine der Wohnungen günstiger angeboten wird. Städte über 75 000 Einwohner*innen müssen Mehrfamilienhäuser mit vier Einheiten überall zulassen, bis zu sechs Einheiten, wenn ÖPNV vorhanden ist. Besonders brisant: Das Gesetz betrifft auch kleinere, angrenzende Vorstädte, wo oft Wohlhabende in Einfamilienhäusern wohnen.

»Als ich gewählt wurde, war mein Ziel, mittelgroße Wohngebäude im ganzen Bundesstaat zu legalisieren. Ich konnte damals aber nicht ahnen, dass ich es bereits nach zwei Jahren erreichen würde«, so Bateman in einer Folge des Podcasts »Volts«, der sich mit Klimapolitik beschäftigt. Bateman berichtet von jahrelanger Überzeugungsarbeit, die notwendig war, um verschiedene gesellschaftliche Gruppen hinter dem Ziel von dichterem Wohnungsbau zu versammeln: »Ich glaube auch, dass es sehr hilfreich ist, dass wir heute über den Zusammenhang von Wohnungspolitik und Klimaschutz sprechen. Als ich zum allerersten Mal für den Stadtrat kandidierte, haben mir die Umweltorganisationen vor Ort vorgeworfen, ich stecke in der Tasche von Immobilienunternehmen, weil ich für mehr Wohnungsbau bin.« Bateman ist überzeugt, dass eine Änderung der Siedlungsstrukturen notwendig ist, um die Klimaziele zu erreichen.

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Der Bundestaat Washington ist besonders hart von Wohnungsmangel betroffen und baut besonders wenig. Eine Million neuer Wohnungen müssten dort in den nächsten zwanzig Jahren entstehen. Die Nachfrage ist hoch, viele Menschen zieht es an die Westküste, vor allem in die Städte. Auf 75 Prozent der Stadtfläche von Seattle seien jedoch nur Einfamilienhäuser erlaubt.

Doch mit Neubau und Sanierung geht oft auch Verdrängung einher; die Gentrifizierung von Armenvierteln ist die Schattenseite der neuen Urbanisierungswelle. Bateman gibt zu, dass auch der soziale Wohnungsbau eine Rolle spielen muss, um bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Doch der Staat könnte diese Aufgabe nicht alleine schultern. Seit 1986 habe Washington nur 55 000 Sozialwohnungen gebaut.

Initiativen wie »Reclaim RI« wollen dies nun ändern: Die Aktivist*innen setzen sich am anderen Landesende, im Bundesstaat Rhode Island an der Ostküste, dafür ein, dass der Staat hier selbst in den Wohnungsbau einsteigt und günstige Angebote schafft – ein echter Paradigmenwechsel im privat dominierten US-Immobilienmarkt. Als explizites Vorbild nennt die Webseite der Organisation den sozialen Wohnungsbau in Europa.

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