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  • Prozess gegen Klimaaktivisten

Mönch, Soldat und Kaninchen

In Frankreich standen Loïc S. und weitere Klimaaktivisten wegen der Proteste in Sainte-Soline vor Gericht

  • Luc Śkaille
  • Lesedauer: 4 Min.
Demonstration des Kollektivs »Wasserspeicher, nein danke« im vergangenen März
Demonstration des Kollektivs »Wasserspeicher, nein danke« im vergangenen März

Rund 300 Menschen, teilweise in Mönchskutten und rosa Karnickelkostümen, versammelten sich am Donnerstag in der westfranzösischen Stadt Niort. Der Grund: ein Sammelverfahren gegen Klimaaktivisten der Initiative »Bassines Non Merci« (Wasserspeicher, nein danke). Sie hatten am 25. März in Sainte-Soline zusammen mit 30 000 anderen gegen den Bau von Speicherbecken für die Agrarindustrie protestiert. Bei Ausschreitungen wurden zahlreiche Menschen verletzt, mehrere Einsatzfahrzeuge der Polizei brannten aus. Vier Männer mussten sich nun wegen Sachbeschädigung, Hehlerei und der Teilnahme an der verbotenen Versammlung verantworten.

Im streng kontrollierten und auf 40 Zuschauer*innen begrenzten Gerichtssaal ergriff der durch seine Prozesserklärungen im Zusammenhang mit den Hamburger G20-Protesten auch hierzulande bekannte Angeklagte Loïc S. als erster das Wort. Das Gericht wollte das zunächst unterbinden, doch der 27-Jährige setzte sich durch und erklärte seinen Protest: Versammlungen gegen die »Mégabassines« seien »legitimer Widerstand gegen die Privatisierung der Lebensgrundlagen«.

S., der bei der Demonstration eine Mönchskutte getragen haben soll, wurde wegen Graffiti, dem Aufheben von Polizeiausrüstung und der Anwesenheit in Sainte-Soline beschuldigt. Er sagte, er werde sich zu den Vorwürfen äußern, »wenn diejenigen bekannt (würden), die auf Micka und Serge geschossen haben«. Gemeint sind zwei Demonstranten, die sich nach den Vorkommnissen zeitweise in Lebensgefahr befanden.

Insgesamt wurden damals 200 Demonstrant*innen in Sainte-Soline verletzt, der Wasserkonflikt ging auch in Deutschland durch die Medien. Hundertschaften verschossen über 5000 CS-Gas- und Blendschock-Granaten, um die Menge zurückzudrängen, was unter anderem geladene Zeug*innen der Gewerkschaft Confédération Paysanne und der Menschenrechtsliga LDH kritisierten. Besonders ergreifend war der Beitrag des Zeugen Jacques C., Jahrgang 1948, der unter dem Tränengas zusammengebrochen war und bleibende Hörschäden erlitt. Für viele war der 25. März eine traumatische Erfahrung.

Während die Verhandlung gegen Loïc S. nach sieben Stunden gegen 20.30 Uhr endete, wurden die anderen Verfahren im Schnelldurchgang besprochen. Dem Beschuldigten Jamal* legte die Staatsanwaltschaft Steinwürfe und die »vorbereitete Teilnahme« an der Demonstration zur Last, da er seine Sanitätsausrüstung mitführte. Dem als Soldat dienenden Juan* wurde Hehlerei von Polizeiausrüstung, Beteiligung an der verbotenen Versammlung und Sachbeschädigung vorgeworfen. Dem wegen politischer Aktionen vorbestraften Koch Leo*, der als rosa Kaninchen aufgefallen war, legte die Staatsanwaltschaft Diebstahl und Hehlerei mit einer Gendarmeriejacke zur Last.

Die Strafverteidiger*innen Christophe Sgro aus Nancy, Laure Abramowitch aus Dijon und Chloé Chalot aus Rouen monierten die unrechtmäßige Identifizierung der Demonstranten durch Gesichtserkennungssoftware, die auch gegen alle Beschuldigten verwendet wurde. Deren Einsatz müsse laut Gesetz »notwendig« und »verhältnismäßig« sein, was bei den angeführten Delikten nicht der Fall gewesen sei. Das EU-Parlament hatte erst im Juni ein Gesetzgebungsverfahren zur Kontrolle von KI auf den Weg gebracht, das die Verwendung von biometrischer Gesichtserkennung im öffentlichen Raum massiv einschränkt. Frankreich hingegen hat die Verwendung von KI zu Überwachungszwecken bereits in Zeiten der Coronakrise ausgeweitet und will das mit Blick auf Olympia in Paris fortsetzen.

Das Vorgehen gegen die Proteste in Deux-Sèvres steht beispielhaft für die Ordnungsdoktrin von Präsident Emmanuel Macron. Ein Bericht der Menschenrechtsliga LDH zur besagten Demonstration ergänzt die Beobachtungen der Beauftragten der Vereinten Nationen, die sich 2023 bereits drei Mal an Paris wendeten. Die Sonderberichterstatter*innen nahmen in der Vergangenheit vor allem auf den Umgang mit dem Protest der Gelbwesten Bezug. Zuletzt kamen Verbote von unliebsamen Organisationen, Polizeigewalt gegen die Rentenreformproteste und auch Repressalien gegen die Umweltbewegung hinzu. Im Juni war der Staat mit zwei landesweiten Durchsuchungswellen gegen die angeblichen »Ökoterroristen« vorgegangen.

Im Gericht erweckte Richter Igor Souchu den Anschein einer absoluten Verfolgungsabsicht. Die Arbeit der Beobachter*innen wurde angezweifelt, kein Element zur Entlastung der Beschuldigten geltend gemacht. Die Verteidigung prangerte hingegen die Unverhältnismäßigkeit der Mittel an. Der Protest sei eine »Verteidigung der Lebensgrundlagen« gewesen, und die Demonstrant*innen müssten aufgrund der auch von Frankreich getragenen Aarhus-Konvention besonderen Schutz genießen. Stattdessen habe der Staat die Lage mit Ansage eskaliert.

Der seit fünf Wochen in Poitiers inhaftierte Loïc S. erhielt die höchste Strafe, konnte aber das Gefängnis am Abend verlassen. Das Gericht verhängte ein Jahr Haft mit der Auflage einer elektronischen Fußfessel und teilweisem Hausarrest. Die anderen Aktivisten erhielten Bewährungsstrafen von zwei beziehungsweise vier Monaten unter Auflagen. Alle dürfen das Département Deux-Sèvres» drei Jahre nicht betreten.

*Name der Redaktion bekannt

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