Kassenärzte kritisieren Brandenburgs Gesundheitsministerin

Ursula Nonnemacher fordert mehr Mitsprache bei Ärzteniederlassungen – und stößt auf Unverständnis

  • Noah Kohn
  • Lesedauer: 4 Min.
Hausärzte fehlen im ganzen Land – auch in Brandenburg und Berlin.
Hausärzte fehlen im ganzen Land – auch in Brandenburg und Berlin.

Wenn jemand am vergangenen Freitag mit einem Stethoskop ausgerüstet durch die Potsdamer Geschäftsstelle der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg (KVBB) gelaufen wäre, hätte er mit seinem medizinischen Abhörgerät wohl rasende Herzschläge festgestellt. Groß war der Ärger über die Aussagen von Ursula Nonnemacher (Grüne), die am gleichen Tag in der »Ärzte Zeitung« publik wurden.

Im Zuge des Ärztemangels im Flächenland Brandenburg forderte die brandenburgische Gesundheitsministerin zunächst mehr Mitspracherecht der Länder bei der Vergabe von Arztsitzen, insbesondere in der Frage, wo sich Vertragsärzte künftig niederlassen sollen. Mit dem nächsten Satz stellte sie aber mal eben das System der Selbstverwaltung durch die Träger grundsätzlich infrage: »Die Selbstverwaltung im Gesundheitswesen ist extrem komplex, wird von niemandem mehr verstanden und ist auch für unsere Demokratie ein Problem.«

Bei der Vorstandsvorsitzenden der KVBB, Catrin Steiniger, sorgten die Aussagen Nonnemachers für Unverständnis. »Woher die Gesundheitsministerin ableitet, dass durch die Selbstverwaltung eine Gefährdung der Demokratie entsteht, will mir und meinen Vorstandskollegen auch bei längerem Nachdenken nicht einfallen«, wurde Steiniger in einer Stellungnahme der KVBB am Freitag zitiert.

Anders als in anderen Ländern wie Italien und Schweden, wo der Staat die Gesundheitsversorgung gewährleistet, gibt der deutsche Staat nur gesetzliche Rahmenbedingungen vor. Die Gesundheitsversorgung sollen die Träger des Gesundheitswesens gewährleisten – und das in Eigenverantwortung. Neben den kassenärztlichen Vereinigungen gehören zu den Einrichtungen der Selbstverwaltung auch die kassenzahnärztlichen Vereinigungen sowie die gesetzlichen Krankenkassen. Ein Zulassungsausschuss, der gleichwertig mit niedergelassenen Ärzten und Vertretern der Krankenkassen besetzt ist, setzt die Bedarfsplanung für die ambulante Medizin um. Für die Gesundheitsministerin wohl ein Problem: Sie als zuständiges Mitglied der Landesregierung habe keinen Einfluss auf die Ärztezuteilung in der ambulanten Versorgung, sagte Nonnemacher der »Ärzte Zeitung«.

Für die KVBB ist das nicht nachvollziehbar. Es gäbe bereits 500 freie Kassensitze in Brandenburg – das Problem sei also nicht die Art und Weise der Verteilung, sondern dass es grundsätzlich zu wenig Ärzte gebe. »Ob und wann sich letztendlich eine Ärztin oder Arzt für eine Arbeit in der ambulanten Versorgung entscheidet, hängt neben der Attraktivität der Rahmenbedingungen, wie zum Beispiel Arbeitsplätze für Partner oder das Kita- und Schul-Angebot, natürlich auch von der Vergütung ab«, so die KVBB. Die Gesundheitspolitik solle Rahmenbedingungen schaffen, »in denen die Arbeit als ambulant tätige Ärztin oder Arzt anerkannt und auch noch attraktiv ist, um weiter durchgeführt zu werden«, forderte die Vereinigung in ihrer Stellungnahme. In Brandenburg liegt nach Ministeriumsangaben die Zahl der Einwohner je Vertragsarzt bei 726 und damit um 5,8 Prozent über dem Bundesdurchschnitt von 686 Einwohnern pro Arzt.

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In eine ähnliche Kerbe schlug auch der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Berlin (KVB) in seiner Pressemitteilung von Freitag. Dort hieß es, dass »Frau Nonnemacher in der Verstaatlichung des Gesundheitswesens die Lösung aller Probleme sieht. Dabei ist es gerade die staatlich organisierte Vernachlässigung der ambulanten Versorgung, die zu den aktuellen Schwierigkeiten der Praxen geführt hat.« Nicht nur in Brandenburg gäbe es einen Mangel an niederlassungswilligen Ärzten, sondern auch in Berlin, »wo aktuell allein 130 Hausarztsitze nicht besetzt werden können«, so die KVB.

Auch durch gestiegene Praxis-, Personal- und Investitionskosten sieht die KVB die ambulante Versorgung in Gefahr und verkündete am Montag ebenso wie die KVBB, sich an der bundesweiten Aktion aller Kassenärztlichen Vereinigungen unter dem Motto »PraxenKollaps – Praxis weg, Gesundheit weg« beteiligen zu wollen. »Die Stimmung bei den Ärztinnen und Ärzten und dem Praxispersonal ist auf dem Tiefpunkt angelangt. Medizinische Fachangestellte verlassen die Praxen in Richtung Krankenhäuser, weil sie dort besser verdienen«, ließ der Vorstand der KVB verlautbaren.

In den anstehenden Finanzierungsverhandlungen zwischen Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung solle versucht werden, höhere Preise für ärztliche und psychotherapeutische Leistungen zu erzielen, so die Hoffnung der KVB. Der Appell des Vorstands: »Das Bundesgesundheitsministerium und die Krankenkassen müssen jetzt dringend handeln, da sonst eine flächendeckende ambulante Patientenversorgung nicht mehr gewährleistet werden kann.« Vorerst wird das Thema wohl aber erst mal weiter für regelmäßiges Pulsklettern in den Kassenärztlichen Vereinigungen sorgen.

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