Einschnitt bei Betreuung Erwerbsloser

Thüringen kann Projekte zur Unterstützung bei der Jobsuche nicht mehr finanzieren

  • Sebastian Haak
  • Lesedauer: 4 Min.

Bei der Betreuung von Arbeitslosen in Thüringen wird es zu einem harten Einschnitt kommen. Insgesamt etwa 60 Projekte stehen landesweit vor dem Aus, weil das Land sie, anders als bisher, bald nicht mehr mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) finanzieren darf. »Die Ministerin würde rechtswidrig handeln, wenn sie das weiterlaufen lassen würde«, sagte ein Sprecher von Sozialministerin Heike Werner (Linke) »nd«. Deshalb habe Werner angeordnet, die Finanzierung dieser Projekte zum Ende des laufenden Jahres einzustellen.

Damit wird es diese Angebote aller Voraussicht nach ab Anfang 2024 nicht mehr geben. Nach Schätzungen des Ministeriums wurden in diesen Projekten zuletzt mehrere Hundert Erwerbslose betreut. Auf die Frage, ob sich damit die Betreuung von Menschen ohne Job im Freistaat verschlechtern werde, sagte der Sprecher des Sozialministeriums: »Das steht zu befürchten.«

Betreuung von Erwerbslosen verschlechtert sich

Noch deutlicher hatte Werner selbst sich in einem Brief an Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) geäußert. Mit dem Aus für die Projekte brächen »in erheblichem Umfang Unterstützungsnetzwerke weg«, heißt es in dem Schreiben, das unserer Zeitung vorliegt und Ende Juli verschickt wurde. »Dies ist sowohl menschlich als auch politisch das falsche Signal«, betont die Ministerin darin.

Nach Angaben des Sozialministeriums und nach Darstellung von Trägern, die solche Projekte derzeit im Auftrag des Landes umsetzen, werden mit diesen Unterstützungsangeboten Menschen betreut, die seit kürzerer oder längerer Zeit ohne Job sind. Jene von ihnen, die als »arbeitsmarktnah« gelten, erhalten über solche Projekte zum Beispiel Bewerbungstrainings. Teilnehmende, die schon lange keiner Beschäftigung mehr nachgehen und die beispielsweise zusätzlich auch noch suchtkrank sind, lernen beispielsweise, ihren Tag zu strukturieren.

Seit 2015 werden solche Projekte über eine sogenannte Integrationsrichtlinie gefördert. Für die nächsten Jahre waren dazu Ausgaben in Millionenhöhe eingeplant. Dafür sollten sowohl landeseigene als auch europäische Gelder genutzt werden, die dem Land über den ESF zur Verfügung gestellt werden. Letztere machten den Großteil der Finanzierung aus.

Bund wird für Erwerbslose zuständig

Der Grund für das Aus der Projekte ist nach übereinstimmenden Angaben des Thüringer Sozialministeriums und der Bundesagentur für Arbeit die Umsetzung der zweiten Stufe der Bürgergeldreform zum 1. Juli 2023. Damit geht die »ganzheitliche Betreuung« von Erwerbslosen in die Verantwortung des Bundes beziehungsweise der Bundesagentur für Arbeit über. Grundsätzlich dürfen in Deutschland für identische staatliche Aufgaben aber nicht zwei staatliche Ebenen Geld ausgeben. Konkret heißt das: In dem Moment, in dem ganzheitliche Betreuung von Arbeitslosen eine Aufgabe des Bundes ist, muss dieser auch das dafür nötige Geld bereitstellen. Die Länder dürfen dann keine Mittel mehr bereitstellen.

Von der Bundesagentur hieß es dazu, die derzeit über die Integrationsrichtlinie vom Land geförderten Projekte werde man ganz sicher nicht mit Bundesgeld weiterfördern. Die Jobcenter könnten diese Projekte gar nicht fortführen, eben weil sie in der Vergangenheit auf Grundlage eines Landesprogramms Geld erhalten hätten, sagte eine Sprecherin der für Thüringen zuständigen Regionaldirektion der Bundesagentur »nd«.

Bundesagentur teilt Befürchtungen nicht

Die Befürchtung des Erfurter Sozialministeriums, dass sich die Betreuung von Arbeitslosen im Freistaat verschlechtern werde, teilt die Bundesagentur dennoch ausdrücklich nicht. Es gebe auch bei den Jobcentern schon heute eine Vielzahl von Maßnahmen, mit denen Erwerbslose unterstützt würden. »Des Weiteren arbeiten alle Jobcenter aufgrund ihrer Struktur eng mit der jeweiligen Kommune zusammen, so dass die kommunalen Eingliederungsleistungen auch eine wichtige Rolle spielen«, betonte die Sprecherin. Dazu gehörten beispielsweise die psychosoziale Betreuung von Betroffenen und die Schuldner- oder Suchtberatung.

Unklar ist trotz dieser Beteuerung, wie die Bundesagentur über die Jobcenter überhaupt eigene, zusätzliche Vorhaben finanzieren könnte, die die Lücke schließen, die durch das Ende der bisherigen Projekte entsteht. In den bisherigen Verhandlungen zum Bundeshaushalt 2024 ist deutlich geworden, dass die Jobcenter trotz der Bürgergeldreform im nächsten Jahr wohl nicht mehr, sondern wahrscheinlich sogar weniger Geld als bislang werden ausgeben können. Das Bürgergeld ersetzt seit Jahresbeginn das bisherige Arbeitslosengeld II alias Hartz IV.

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