Was kurdische Politiker hoffen

Über den Dialogprozess mit der Türkei und die Politik der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)

  • Jakob Helfrich, Suleimanijeh
  • Lesedauer: 6 Min.
Kurdische Milizen in Sindschar (kurdisch: Schingal), Irak, feiern 2016 den Geburtstag von PKK-Gründer Abdullah Öcalan.
Kurdische Milizen in Sindschar (kurdisch: Schingal), Irak, feiern 2016 den Geburtstag von PKK-Gründer Abdullah Öcalan.

Die Dukan-Talsperre in der kurdischen Autonomieregion im Nordirak war bis vor wenigen Tagen für politische Entwicklungen über die unmittelbare Umgebung hinaus weitgehend unbedeutend. Doch dieser Tage rückt die Talsperre, etwa eine Autostunde nordwestlich der Millionenstadt Suleimanijeh, in den Fokus der regionalen politischen Entwicklungen. Für Freitagfrüh ist hier eine erste symbolische Niederlegung und Zerstörung von Waffen durch die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) angekündigt – ohne dass bislang ein konkreter Ort dafür bekannt wurde.

Das Ereignis zieht nicht nur Journalist*innen aus dem Irak oder der Türkei an, sondern auch von weit entfernt. Die Frage, wie die Zeremonie genau ablaufen wird, löst vor Ort und unter den anwesenden Pressevertretern vor allem Spekulationen aus. Laut einem Bericht in der englischsprachigen Tageszeitung »Hürriyet Daily News« soll zunächst eine Gruppe von 30 bis 50 PKK-Mitgliedern am Freitag ihre Waffen niederlegen. Die Waffen würden registriert und vor Ort verbrannt, wie es heißt – unter den Augen türkischer, irakischer und kurdischer Beamter der Kurdischen Regionalregierung (KRG) sowie zivilgesellschaftlicher Organisationen.

Dass die Zeremonie ein wichtiger Meilenstein ist in dem seit über neun Monaten sich dahinschleppenden Dialogprozess zwischen der türkischen Regierung und der kurdischen Bewegung, steht für Beobachter*innen außer Frage. Für Samstag kündigte auch die türkische Regierungspartei AKP eine »historische Rede« von Präsident Recep Tayyip Erdoğan an, in der es wohl ebenfalls um den Prozess gehen wird.

Schon am Mittwoch war das erste Mal seit seiner Inhaftierung vor 26 Jahren eine Videobotschaft von PKK-Gründer Abdullah Öcalan veröffentlicht worden. Darin forderte dieser erneut die Beendigung des bewaffneten Kampfes der PKK und begrüßte den Entschluss der Partei vom Mai, sich selbst aufzulösen. Ähnlich wie in einem geschriebenen Statement, das Ende Februar veröffentlicht wurde, erklärte der mittlerweile 76-Jährige, man habe das primäre Ziel des bewaffneten Kampfes erreicht: die Beendigung der Verleugnungspolitik gegenüber dem kurdischen Volk. Daher sei eine Veränderung des Kampfes notwendig.

Im Gegenzug erwarte man eine Demokratisierung der Türkei. Dies hatten die PKK, aber auch legale pro-kurdische Parteien wie die Dem-Partei, die im Dialogprozess vermitteln, mehrfach deutlich gemacht. Wie diese Demokratisierung aussehen könnte, ist derweil noch recht unklar. Nicht nur hat die türkische Justiz seit März immer wieder Repressionskampagnen gegen die größte Oppositionspartei CHP gestartet. Auch die Versprechungen der türkischen Seite wurden bislang kaum umgesetzt. Das gilt insbesondere für die angekündigte parlamentarische Kommission, die einen gesetzlichen Rahmen für den Dialogprozess schaffen soll. Ihre Einsetzung kommt bislang nur schleppend voran.

Doch vergangene Woche traf sich der türkische Parlamentspräsident Numan Kurtulmuş von der Regierungspartei AKP erneut nicht nur mit der Dem-Partei, sondern auch mit Politiker*innen aller anderen Parlamentparteien, um über die Besetzung der Kommission zu beraten, über deren Namen es weiter Uneinigkeit gibt. Tatsächlich zeigten sich alle Parteien bereit, in der Kommission mitzuarbeiten – bis auf die ultrarechte Iyi-Partei, die etwa sieben Prozent der 600 Sitze im türkischen Parlament innehat und sich von Beginn an gegen den Dialogprozess gestellt hat.

Das Hauptinteresse aufseiten der türkischen Regierung dürfte die Sicherung der eigenen Macht sein.

Ein Kernstreitpunkt zwischen Regierung und Opposition dürften Entscheidungskompetenz und Status der Kommission werden. Während die Opposition aus Dem-Partei, der Republikanischen Volkspartei (CHP) und Yeni Yol, einer konservativen Parteienallianz, eine gesetzliche Grundlage für die Kommission fordert, will die AKP diese lediglich vom Parlamentspräsidenten einberufen lassen. Sicher auch, weil dieser der AKP als größter Fraktion angehört. Eine Entscheidung soll kommende Woche fallen.

Wie eng der gesetzliche Prozess in der Türkei auch mit den Entwicklungen der PKK im Nordirak zusammenhängt, zeigen die regen Aktivitäten des Chefs des türkischen Geheimdienstes MIT, İbrahim Kalın, in den vergangenen Tagen: Nachdem er am Montag bei dem Treffen zwischen Dem-Partei und dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan anwesend war, bei dem beide Seiten erneut die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit betonten, reiste er zunächst in den Irak.

Dort traf er nach einem Aufenthalt in der kurdischen Autonomieregion am Dienstag auch den irakischen Premier Mohammad Schia’ Al-Sudani und den Präsidenten Abdul Latif Raschid. Auch bei diesen Treffen ging es türkischen Medienberichten zufolge um die Waffenniederlegung in den kommenden Tagen und den weiteren Dialogprozess. Mit hoher Wahrscheinlichkeit dürfte die türkische Regierung vor allem sicherstellen wollen, dass die Rückzugsorte der PKK im Nordirak restlos aufgelöst werden. Am Mittwoch war schließlich noch ein Treffen mit dem türkischen Parlamentspräsidenten Kurtulmuş geplant.

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Dass der Dialog zwischen der türkischen Regierung und der kurdischen Bewegung seit Ende Juni überhaupt wieder in Gang kommt, dürfte zwei Gründe haben: Zum einen geht das türkische Parlament voraussichtlich von Ende Juli bis Anfang Oktober in die Sommerpause, sodass wenig Zeit für rechtliche Änderungen bleibt, die von kurdischer Seite gefordert werden. Zum anderen scheint die Eskalation zwischen Israel und dem Iran Verhandlungen begünstigt zu haben.

Während des sogenannten Zwölf-Tage-Krieges hatten türkische Regierungsvertreter erneut betont, die »innere Front« angesichts der regionalen Veränderungen befrieden zu müssen. Ein Bild, das schon seit Oktober 2024 immer wieder die Reden der beiden starken Männern der Regierungskoalition prägt. Einen »Ring aus Feuer« hatte MHP-Chef Devlet Bahçeli die regionale Situation genannt, die auf die Türkei übergreifen könne. Präsident Erdoğan erklärte am 21. Juni sogar, Istanbul und Teheran teilten das gleiche Schicksal. Kläre man jetzt nicht die internen Konflikte, nutze dies einzig und allein den Interessen anderer.

Das Hauptinteresse aufseiten der türkischen Regierung dürfte also die Sicherung der eigenen Macht sein, während die kurdische Seite sich eine tatsächliche Verbesserung der demokratischen Mitbestimmung erhofft – auch für die eigene Gestaltungsmacht in der Türkei und darüber hinaus. Inwieweit sich diese beiden Ziele vereinbaren lassen, dürfte sich spätestens nach der angekündigten zeremoniellen Waffenniederlegung der PKK Ende dieser Woche im Nordirak zeigen, mit der sie wohl vor allem eines vermitteln will: Wir meinen es ernst mit dem Friedensprozess.

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