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Flut im Ahrtal: »Enteignen will ja niemand«
Vier Jahre nach der Flut im Ahrtal ist die politische Aufarbeitung beendet. Neue Fragen stellen sich
Routiniert trat Sven Wolf am Mittwochabend ans Rednerpult im Düsseldorfer Landtag. Der SPD-Politiker ist Profi in Sachen Untersuchungsausschüsse, er leitete schon drei Stück. Jetzt spricht er, vor einem spärlich besetzten Landtag, über den jüngsten Ausschuss, den er geleitet hat, den zur Hochwasserkatastrophe am 14. und 15. Juli 2021, die in Nordrhein-Westfalen 49 Menschen das Leben kostete. Die Flut ist als größte Naturkatastrophe in die Geschichte des Bundeslandes eingegangen. Insgesamt sind bei der Flutkatastrophe mindestens 185 Menschen gestorben. Allein 135 im rheinland-pfälzischen Ahrtal.
Sven Wolf hat an diesem Abend im Landtag nicht viel Zeit. In 20 Minuten muss er zusammenfassen, was der Untersuchungsausschuss zur Flutkatastrophe auf über 800 Seiten zusammengetragen hat. An zentraler Stelle stehen sechs Feststellungen: 1. Die Unwettergefahr wurde unterschätzt. 2. Es gab ein Versagen der Führungsstrukturen. Auf Landesebene wurde zu spät reagiert und nur eine Koordinierungsgruppe auf Arbeitsebene eingesetzt. Ein mit Staatssekretär*innen besetzter Krisenstab hätte mehr Entscheidungsbefugnisse gehabt. 3. Die Bevölkerung ist unzureichend gewarnt worden. Das NRW-Innenministerium verschickte keine landesweite Unwetterwarnung. 4. Kritische Infrastruktur war unzureichend geschützt. 5. Persönliches Fehlverhalten. Die damalige Umweltministerin Heinen-Esser unterbrach ihren Mallorca-Urlaub für die Flut nur kurz. Das schädigte das Vertrauen in die Politik. Im April 2022 trat Heinen-Esser deswegen zurück. 6. Die komplexe Zuständigkeitsverteilung zwischen Land und Kommunen führte zu einem lückenhaften Lagebild.
Im Bericht des Untersuchungsausschusses für Nordrhein-Westfalen werden keine klaren Schuldzuschreibungen vorgenommen. Im Ausschuss gab es durchaus Kämpfe zwischen Oppositionsparteien und Regierungsparteien, etwa um Aktenlieferungen aus dem Bau- und Heimatministerium. Insgesamt bemühen sich CDU, SPD, Grüne und FDP, die den Ausschussbericht gemeinsam verabschiedet haben, aber um einen gemeinsamen Ton. Tenor: In der Flutnacht ist viel nicht gut gelaufen; dass es so schlimm kommen würde, war aber niemandem klar. Bestimmt wurden Fehler gemacht, die wurden aber erkannt und sollen abgestellt werden. Oder um es mit den Worten des Ausschussvorsitzenden Wolf zu sagen: »Jetzt ist es Zeit, aus den gewonnenen Erkenntnissen die richtigen Konsequenzen zu ziehen.«
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Auffällig ist, wie sich die politische Aufarbeitung in den beiden hauptsächlich von der Flut betroffenen Bundesländern unterscheidet. In beiden Bundesländern gibt es heute neue Ministerpräsidenten. Armin Laschets Kanzlerkandidatur ist 2021 auch wegen eines Lachens im Flutgebiet gescheitert. Malu Dreyer wurde verübelt, dass sie sich nie für das Versagen ihrer Landesregierung entschuldigt hat. Letztes Jahr hat sie ihr Amt an Alexander Schweitzer übergeben. In beiden Ländern sind Minister*innen zurückgetreten.
In Rheinland-Pfalz, wo der Untersuchungsausschuss schon im August 2024 seine Ergebnisse vorgestellt hat, gibt es im Gegensatz zu Nordrhein-Westfalen klar benannte Schuldzuschreibungen. Der Abschlussbericht benennt »massive Versäumnisse des Landkreises bzw. des damaligen Landrats des Kreises Ahrweiler« als zentrale Ursache für das Ausmaß der Katastrophe. Der ehemalige Landrat Jürgen Pföhler (CDU) wird als »Systemsprenger« bezeichnet. Die Staatsanwaltschaft Koblenz stellte ihre Ermittlungen gegen ihn im April 2024 ein, obwohl ein Gutachten »beachtliche Mängel« beim Katastrophenschutz feststellte. Die Schuld liege jedoch »im aufbau- und ablauforganisatorischen Bereich« und nicht bei einzelnen Personen. Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass das rheinland-pfälzische Innenministerium Pföhlers Ruhestandsgehalt kürzen möchte. Der Ex-Landrat habe »gravierend gegen beamtenrechtliche Pflichten verstoßen«. Vorläufig will das Land ein Drittel der Bezüge einbehalten. Ein schwacher Trost für viele Flutbetroffene, die auf strafrechtliche Ermittlungen gehofft hatten.
Hoffnung für die Zukunft soll den Menschen im Ahrtal und in NRW ein besserer Katastrophenschutz machen. Viele einfache Maßnahmen wie neue Sirenenanlagen, digitale Warnmittel und eine bessere Erfassung von Flusspegeln wurden schon umgesetzt.
Doch beim wirksamen Hochwasserschutz hapert es noch. Im Ahrtal wurden im Frühjahr Pläne vorgestellt, wie man eine Katastrophe verhindern will. In den Seitentälern der Ahr sollen 17 Regenrückhaltebecken entstehen. Geplant sind teilweise über 30 Meter hohe Betonbauwerke. Massive Eingriffe in die Landschaft, über die schon gestritten wird.
Schwerwiegender aber ist, dass weder die Flächenfrage noch die Finanzierung bisher geklärt sind. Cornelia Weigand, aktuelle Landrätin in Ahrweiler spricht von zwei Milliarden Euro, von denen der Kreis nur einen Bruchteil decken könnte. Auch in Nordrhein-Westfalen macht man sich Gedanken über die Finanzierung des Hochwasserschutzes. In einem Pressegespräch mit Umweltminister Oliver Krischer (Grüne) hieß es kürzlich, dafür würden 20 Milliarden Euro gebraucht.
Wäre das Geld da, wäre da allerdings immer noch die Frage der Flächen. »Enteignen will ja am Ende niemand. Aber mal schauen, wie lange wir uns das noch angucken«, sagt der Chef der Emscher-Genossenschaft, Ulrich Paetzel, im Pressegespräch mit dem NRW-Umweltminister. Paetzel verweist darauf, dass schon fertige Hochwasserschutzprojekte an Grundstücksfragen gescheitert seien. Aus dem Ahrtal heißt es, dass man nicht enteignen wolle, die rechtliche Möglichkeit aber bestehe.
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