Aquamediale 15: Wenn die Natur mit ausstellt

Die Aquamediale im Spreewald zeigt Kunst im Spannungsfeld von Mensch und Umwelt

  • Noah Kohn
  • Lesedauer: 5 Min.
Gar nicht so einfach, so eine Führung auf dem Wasser: Künstlerin Katalin Pöge neben ihrem Kunstwerk.
Gar nicht so einfach, so eine Führung auf dem Wasser: Künstlerin Katalin Pöge neben ihrem Kunstwerk.

Auf einem Fließ im Spreewald treibt eine kleine Insel aus Paddelbooten. Kreuz und quer schwimmen die sieben Kajaks und ein Kanu nebeneinander, zusammengehalten durch die Hände der rund 20 Paddler. »Erinnert euch das Material an irgendetwas?«, fragt eine Frau mit Strohhut und zeigt auf eine Konstruktion am Ufer. »Vielleicht Lineale?«, fragt ein Kanute. Doch er liegt daneben. »Das Kunstwerk ist aus Wasserstandsmessern gebaut«, löst die Fragestellerin auf. »Sie sollen auf den drohenden Wassermangel im Spreewald durch die Schließung der Tagebaue aufmerksam machen.«

Die Gruppe ist im beschaulichen Schlepzig losgepaddelt, um sich die 15. Aquamediale anzuschauen. Seit 17 Jahren findet das vom Landkreis Dahme-Spreewald initiierte Kunstfestival im Spreewald statt. Die Besonderheit dabei: Die Kunstwerke sind nur vom Wasser aus zu erleben. Wer sie sehen möchte, muss selber ins Paddelboot steigen. Die Gemütlicheren können bei einer der angebotenen Kahntouren mitfahren.

Die diesjährige Ausgabe der Aquamediale stellt die Auswirkungen der Konsumgesellschaft auf Mensch und Natur und ihre gesellschaftlichen Folgen in den Vordergrund. 123 Künstlerinnen und Künstler aus 16 Nationen bewarben sich auf den Aufruf der Veranstalter. Zehn wurden ausgewählt und stellen nun noch bis Ende September dieses Jahres unter dem Motto »Unart Natur – Mensch prokontra Natur« ihre Objekte und Installationen im Spreewald aus.

Eine von ihnen ist die Frau mit dem Strohhut. Sie heißt Katalin Pöge und hat an diesem heißen Augusttag Kunstinteressierte, Freunde und Bekannte zu einer persönlichen Paddeltour durch die Aquamediale nach Schlepzig eingeladen. Gar nicht so einfach, so eine Führung auf dem Wasser: Immer wieder treibt die Strömung die Boote auseinander. Wer zuhören will, muss manövrieren können, um in Hörweite der Künstlerin zu bleiben.

Der Ausstellung sei ein monatelanger Prozess vorausgegangen, sagt Pöge. »Wir sind erst mal mit dem Kahn rumgefahren, haben das Örtchen und die Leute hier kennengelernt. Dann haben wir Ideen ausgesponnen und geschaut, wo sie hinpassen könnten. Dabei haben wir versucht, die Kunst in die Natur einzuarbeiten oder einen Dialog mit der Natur herzustellen.«

Sie selbst hat die Installation »Keine Stille ohne Geräusch. Kein Geräusch ohne Stille« für die Aquamediale entworfen: ein hellgrüner und ein blauer Rahmen im Format 16 zu 9, die auf Aluminiumstangen über der Wasseroberfläche schweben. Eine Anspielung auf die Sehgewohnheiten der heutigen Smartphone-Gesellschaft, abgerundet durch 15 QR-Codes, die auf den Rahmen prangen. Hinter ihnen verbergen sich kurze Videos der Künstlerin.

Da fährt man einmal raus in die Natur und schaut dann doch wieder auf das Smartphone? »Ich habe mir vorgestellt, wie ich auf der Brücke stehe und zuschaue, wie ein voller Kahn an meinem Kunstwerk vorbeifährt. Und der Kahnfährmann erzählt dann was dazu, und die Hälfte der Leute zückt Smartphones und hält drauf«, sagt Pöge. Kunst als Spiegel der Gesellschaft: Aus der Außenperspektive werde der Betrachter des Kunstwerks so selbst zum Betrachtungsobjekt.

Das passt zur Selbstwahrnehmung der Künstlerin: »Ich sehe mich in der Rolle der bildenden Künstlerin als Erdbeben und Seismograf gleichzeitig. Einerseits arbeite ich das, was ich denke, beobachte und fühle, einfach aus; andererseits beobachte ich, wie das auf die Leute wirkt, und mache eine Art künstlerischer Forschung damit, mit der ich dann wieder weiterarbeite.«

Einen Tag lang habe sie für den Aufbau ihrer Installation im hüfthohen Wasser gebraucht, sagt Pöge. Eine neue Erfahrung für die 41-Jährige: »Im Spreewald gibt es ganz andere Möglichkeiten als in einer Galerie, die eine Decke und Wände hat. Das war wirklich das Faszinierende für mich, dass die Kunstwerke teilweise eingesponnen wurden oder Blätter rauffielen, als würde die Natur mit ausstellen wollen.« So wie bei dem Werk »einFluss« der Künstlerin Imke Rust, deren 20 Meter lange Konstruktion aus rot gefärbten Ästen von Bibern angenagt wurde. Oder bei der Installation »und oder entweder« von Doris Leuschner, bei der die verwendeten Kupferdrähte in der Witterung ihre Farbe veränderten.

Drinnen könne die Ausstellung nicht so funktionieren wie draußen auf dem Wasser, sagt Pöge. »In dem Moment, wo etwas Ortsfremdes dort inszeniert wird, wird auch eine Irritation gesetzt. Und Irritationen sind meiner Meinung nach total wichtig dafür, dass der Verstand wieder wach wird: Was gucke ich mir eigentlich an? Wie wirkt das auf mich?«, erklärt Pöge.

Gut zwei Stunden ist der Tross unterwegs, lauscht, was die Berlinerin zu den Kunstwerken zu erzählen hat, und taucht ein in die wunderbare Natur des Spreewalds. »Am Ende sind wir Menschen ja auch nichts anderes als Biomüll. Wahrscheinlich der unsauberste Biomüll, weil wir irgendwelche Implantate und sonst was in uns drin haben. Aber eigentlich sind wir nichts anderes als auf Kohlenstoff basierende Materie, so wie alles andere, was wir Natur nennen«, sagt Pöge. Wer ihre Installation und die Kunstwerke der anderen Künstler sehen möchte, kann noch bis zum 30. September nach Schlepzig fahren.

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